Malen nach Zahlen

  • Robert Rescue
  • Lesedauer: 3 Min.

»In der abschließenden Anlage EKS haben Sie bereits ihre Telefonkosten hälftig angegeben. Nach § 3 Absatz 2 Arbeitslosengeld II-Verordnung sind zur Berechnung des Einkommens von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11b des 2. Buches Sozialgesetzbuch abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen.

Sie haben insgesamt hälftige Telefonkosten in Höhe von 104,96 € tatsächlich geleistet, nicht wie von Ihnen angegeben in Höhe von 106,42 €. Somit wurden 104,96 € als Betriebsausgaben anerkannt.«

Ach, verdammt, denke ich. Frau Schröder hat an meiner Abrechnung was auszusetzen. Dabei habe ich mir doch so eine Mühe gegeben. Alle Quittungen, eine Saldenliste und das Buchungsjournal habe ich geliefert. Die ganzen Papiere fein säuberlich in handgefertigten Aktenhüllen aus einer Schwarzwälder Kunststofffabrik im Familienbesitz verpackt und mit den teuersten Büroklammern aus toskanischem Metalldraht zusammengehalten. Sie soll wissen, wie transparent ich mein Geschäftsgebaren offenlege. Sicherlich bin ich der einzige, der es damit so genau nimmt. Andere Hartz IV-Aufstocker schicken ihr bestimmt einen Schmierzettel, auf dem steht: »Hallo, Alte, ich habe 2000 € verdient und 1000 € ausgegeben. Nachweise habe ich verloren. Gruß, Atze.«

Aber jetzt bin ich in ihren Augen auch nicht mehr als ein Atze. Ihre beiden letzten Sätze machen das überdeutlich, ihre Wut über mein Versagen springt mich aus der Gegenüberstellung der Summen an.

Dabei schien alles so einfach zu sein. Bei den Kosten für Telefon und Internet erkennt das Amt nur die Hälfte an. Also habe ich alle Rechnungen addiert und durch 2 geteilt. Dabei kam die Summe 106,42 € heraus. Was habe ich falsch gemacht? Hat der Computer-Taschenrechner einen Bug? Hat Frau Schröder alle Einzelsummen noch mal nachgerechnet, weil sie so ein komisches Gefühl bei mir hatte? Wenn andere es falsch machen, so wird sie gedacht haben, warum soll er es richtig machen? Frau Schröder wird mich jetzt sicherlich für einen miesen Abzocker halten, der die Bundesagentur für Arbeit um 1,46 € betrügen wollte. Dabei bin ich mir keiner betrügerischen Absicht bewusst. Das Blöde ist ja, dass ich im Falle einer erneuten Abrechnung ebenso handeln würde.

Hätte Frau Schröder nicht ein Herz für mich haben und auf die 1,46 € verzichten können? Ein nachdenklicher Blick aus dem Bürofenster, ein wohlmeinender Blick auf meine Unterlagen, ein vergleichender Blick auf Atzes Schmierzettel und dann die ungewohnte Entscheidung, die Fünf mal gerade sein zu lassen?

Nein, das ist wohl nur ein Wunschtraum. Sie ist die härteste Kriegerin des Jobcenters, sie kennt keine Gefühle. Sie braucht nur vier Stunden Schlaf, arbeitet deshalb 20 Stunden am Tag, und das Wochenende verbringt sie mit »Malen nach Zahlen« in Excel-Tabellen.

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal