nd-aktuell.de / 02.06.2016 / Kultur

Ein Kommentar zur Debatte um Krieg und Verfolgung

Die Regisseurin Maria Schrader über ihren neuen Film »Vor der Morgenröte - Stefan Zweig in Amerika«, Brasilien Linke und Europa als Ort der Hoffnung für Geflüchtete

Katharina Dockhorn
Europas Geschichte ist mit Flucht und Vertreibung verbunden. Umso erschreckender findet es die Regisseurin Maria Schrader, mit welcher Abwehr die Europäer nun auf die Flüchtenden reagieren.

Maria Schrader machte zunächst als Schauspielerin und Muse von Dani Levy Karriere, gemeinsam standen sie hinter »I was on Mars« oder »Meschugge«. Als Regisseurin etablierte sie sich mit der Adaption von »Liebesleben« nach Zeruya Shalev. Für ihren künstlerisch innovativen Film »Vor der Morgenröte - Stefan Zweig in Amerika« folgt sie dem Schriftsteller von 1936 bis 1942 über sechs Stationen im amerikanischen Exil. Für die Regie war Maria Schrader für den Deutschen Filmpreis nominiert.

Was faszinierte Sie an der Persönlichkeit und den letzten Jahren von Stefan Zweig?
Stefan Zweig hat seiner Arbeit oberste Priorität eingeräumt. Privatleben oder Nichtarbeiten kannte er nicht, eine Kategorie wie das private Glück war für ihn irrelevant. Er konnte nicht wertschätzen, dass er der Verfolgung entkommen war und mit seinem Aufenthaltsvisum für Brasilien in Sicherheit lebte, weil er sich nie von der Vorstellung verabschieden konnte, was in Europa passierte. Er stand körperlich unter Palmen, im Geist war er woanders.

Woran machen Sie das fest?
Es ist aus seinen Briefen und Tagebüchern zu ersehen. Er träumte von einem vereinten und friedlichen Europa. Der Untergang seiner geistigen Heimat nahm ihm die Lebenskraft. Er betrachtete sich selbst als einen hilflosen Beobachter vom anderen Ende der Welt. Selbst das physische Überleben zählte nicht mehr viel.

Ihr Film wirkt wie ein Kommentar zur Debatte um den Umgang mit den Menschen, die vor Krieg und Verfolgung fliehen. Sie haben aber sicher sehr viel früher begonnen?
Die Aktualität hat uns unmittelbar nach Beendigung der Dreharbeiten im Herbst 2015 eingeholt. Katastrophen, die Millionen von Menschen zwingen, aus ihrer Heimat zu flüchten, scheinen in grausamer Regelmäßigkeit einzutreten. Es ist ja erst 70 – 80 Jahre her, dass die Flüchtlinge aus Europa zu Tausenden an den Mittelmeerhäfen standen, um auf die Schiffe zu kommen. Jetzt bewegen sich Menschen in die umgekehrte Richtung, Europa ist ein Ort der Hoffnung. Aber gerade weil die europäische Geschichte mit Flucht und Vertreibung verbunden ist, ist erschreckend, mit welcher Abwehr Europäer auf die Flüchtenden reagieren.

Warum deuten Sie vieles, wie die Ursache für die Kritik der brasilianischen Linken an Zweigs »Land der Zukunft«, nur an?
Zweig wurde vorgeworfen, sich mit dem Lob auf Brasilien seine unbefristete Aufenthaltsgenehmigung erkauft zu haben. Das ist falsch. Er besuchte 1936 das erste Mal Brasilien. Er sah Menschen unterschiedlichster Hautfarben auf den Straßen, er sah Schwarze selbst in hohen Ämtern. Das beeindruckte ihn zutiefst. Das Land erschien ihm fortschrittlich zu sein – vor allem wenn man bedenkt, was zur gleichen Zeit in Europa passierte.

Er verschloss aber die Augen vor der Realität?
Brasilien war bei weitem nicht so liberal wie es ihm schien. Die schwangere Kommunistin und Jüdin Olga Benario beispielsweise wurde 1936 an Deutschland ausgeliefert. Als Zweigs Buch 1941 veröffentlicht wurde, hatte die Vargas-Diktatur bereits ihr wahres Gesicht gezeigt. Zweig selbst räumte daher ein, er habe die Dinge zu positiv gesehen. Trotzdem hatte er durch die Veröffentlichung die Linke als soziales Umfeld verloren.

Er verweigerte politische Stellungnahmen. Gibt es aber nicht Situationen wie den PEN-Kongress 1936, wo klare Haltungen notwendig sind?
Der Film erzählt diesen Morgen aus wiederstreitenden Perspektiven: Der Journalist Brainin setzt Zweig unter Druck, er folgt ihm sogar auf die Toilette, um ein Statement aus ihm raus zu quetschen. Zweig weigert sich, anzugreifen. Er ist radikaler Pazifist. Emil Ludwig dagegen agitiert und polemisiert. Der Film schlägt sich dabei bewusst auf keine Seite.

Warum überlassen Sie die Deutung für die Ursachen seines Selbstmords dem Zuschauer?
Solch Entschluss hat immer eine Anzahl von Gründen und am Ende liegt doch ein Rätsel. Grundsätzlich glaube ich, dass man weder einen Suizid, noch ein Leben oder gar eine Persönlichkeit wirklich erklären kann. Daher haben wir die Form gewählt, in nur wenige Situationen seines Lebens zu blicken, die man möglichst realistisch miterlebt. Daraus können sich die Zuschauer selbst ein Bild machen.

Es hält sich die These, dass sein Entschluss reifte, nachdem ein brasilianisches Schiff beschossen wurde. Warum lassen Sie diesen Fakt weg?
Hier sprechen Sie einen Punkt an, der erklärt, warum wir keine lineare Erzählstruktur verwendet haben: Die Angst, der Krieg könne ihm physisch bis nach Brasilien folgen, mag zu seinem Entschluss beigetragen haben. Alleinige Ursache war sie mit Sicherheit nicht. Um diese Art von Simplifizierung zu vermeiden, erzählen wir Situationen aus dem Leben Zweigs in den Tropen, im New Yorker Winter, zu seinem 60. Geburtstag, auf einem Kongress - von der Einsamkeit unter Menschen.