nd-aktuell.de / 10.06.2016 / Kultur / Seite 16

Sorbische Denkanstöße

LESEPROBE

In fast allen europäischen Ländern leben nationale Minderheiten, mit anderer Sprache, Kultur und Tradition als die Mehrheit. Das Zusammenleben unterschiedlicher Ethnien ist höchst selten konfliktfrei. Mitunter sind die Rechte der Minderheit gut in Gesetzesform gegossen und auch realisiert. Oft jedoch dominieren Konflikte den staatlichen und gesellschaftlichen Umfang mit ethnischen Minderheiten.

Das zeigt z. B. die Behandlung der Sinti und Roma in sehr vielen europäischen Staaten. Auch die ethnischen Konflikte in Nachfolgestaaten der Sowjetunion, in der es anstelle des seinerzeit behaupteten freiwilligen Zusammenschlusses aller Nationalitäten zur neuen Ethnie des sog. Sowjetvolkes vor allem Russifizierung und Assimilation gab, sind ein Beleg. Konflikte existieren im Umgang mit Juden, Balten und Ukrainern in Polen ebenso wie in den Spannungen zwischen Slowakei und Ungarn. Streitigkeiten werden sichtbar im politischen Geschacher zwischen Bulgarien, Serbien, Griechenland und der Türkei um die Makedonier. Der Entzug des Wahlrechts für die russische Minderheit in Lettland mithilfe ihrer Definition als »Nichtbürger« oder Versuche Lettlands und der Ukraine, russische Minderheiten den Gebrauch ihrer Muttersprache in der Öffentlichkeit zu verbieten, sind deutliche Repressionen ...

Nicht alle, aber sehr viele Probleme im Umgang mit ethnischen Minderheiten existieren seit Ende des Ersten Weltkrieges bzw. haben sich damals verschärft. Einer, der in dieser Zeit nach Lösungen für ein gerechtes und friedliches Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Nationalität suchte, war der Sorbe Jan Skala, von 1925 bis 1936 Chefredakteur der »Kulturwehr«, der Zeitschrift des seit 1924 existierenden Verbandes der nationalen Minderheiten in Deutschland. Die gründliche Analyse dieses Journals half, das Werden und Wachsen von Skalas Anschauungen ... detailliert zu erfassen. Vor allem zeigte sie, wie er sich mit nationalistischen, minderheitsdiskriminierenden Praktiken und »Theorien« auseinandersetzte. Zugleich zeigte sie Skalas geistige Unabhängigkeit, die sich auch durch Bespitzelung, Verleumdung und Verhaftung nicht zerstören ließ ... Jedes Eintreten für die Menschenrechte ethnischer Minderheiten ist unabdingbar antifaschistisch, demokratisch und partiell antikapitalistisch.

Aus Peter Kroh »Minderheitenrecht ist Menschenrecht. Sorbische Denkanstöße zur politischen Kultur in Deutschland und Europa« (Beggerow, 485 S., br., 16,90 €).