nd-aktuell.de / 20.06.2016 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Gewinn für alle

In Schweden macht man positive Erfahrungen mit dem Sechsstundentag, der wie ein Achtstundentag bezahlt wird

Bengt Arvidsson, Stockholm
Das Krankenhaus Göteborg hat anderthalb Jahre lang mit dem Sechsstundentag experimentiert. Das Fazit: bessere Arbeit, höhere Effizienz und mehr Interesse bei Fachkräften. Die Testphase wird verlängert.

Seit Mitte 2015 arbeiten rund hundert Orthopädie-Krankenschwestern am Mölndal Krankenhaus in Göteborg nur noch sechs statt acht Stunden am Tag. Zwei Stunden in der Woche sind zudem für die Fortbildung vorgesehen, die unter anderem helfen soll, die Arbeit produktiver zu machen. Gleichzeitig wurden zusätzliche Pflegekräfte angestellt, um Lücken zu füllen. Dabei erhalten alle den gleichen Lohn wie beim Achtstundentag. Die Vorlaufzeit war lang. Schon seit 2014 wurde die Sechsstundenwoche für das Mölndal Krankenhaus stufenweise vorbereitet und eingeführt.

Es war die Linkspartei im sozialdemokratisch geprägten Göteborg, die einen Test in unterschiedlichen Pflegeeinheiten der Stadt durchsetzte. Dies tat sie mit der Begründung, dass die Arbeitszeitfrage vor allem von Links-Rechts-Wunschdenken statt von praktischen Erkenntnissen gesteuert sei. Letztere fehlten in der Tat lange. Die wohlhabende Bergbaustadt Kiruna, die vom staatlichen Grubenkonzern LKAB dominiert wird, gönnt ihrem Pflegepersonal schon seit 1989 deutlich kürzere Arbeitszeiten. Doch als man 2005 entschied, Kosten und Nutzen auszuwerten, stellte man fest, dass es keine Vergleichsdaten gab. Nun versuchen es die Göteborger.

Nach einer ordentlichen Auswertung des ersten Jahres verlängert das Mölndal Krankenhaus jetzt den Versuch um ein weiteres Jahr. Die Analyse habe ergeben, dass der Sechsstundentag tatsächlich glücken könne, so Anders Hyltander, Gebietschef vom übergeordneten Sahlgrenska Universitätskrankenhaus.

Die betroffenen Abteilungen litten vor der Arbeitszeitverkürzung sehr an Fachkräftemangel. »Nun klopfen die Leute an und wollen hier arbeiten. Unsere Rekrutierungsprobleme haben sich enorm vermindert«, sagt er. Die Arbeitsbedingungen und die Atmosphäre seien besser geworden.

Das Projekt habe leider im ersten Jahr nicht die angepeilten Produktivitätsziele erreicht. Der Gedanke war, dass ausgeruhte Kräfte mehr schaffen als erschöpfte. Die Krankenhausleitung glaube aber, dass nach einem weiteren Jahr die Produktivitätsziele erreicht werden können, so Hyltander. Es gehe nicht darum, schneller zu arbeiten, sondern darum, besser organisiert zu sein. Genaue Zahlen will das Krankenhaus noch nicht veröffentlichen.

Derzeit wird vielerorts in Schweden stichprobenhaft der Sechsstundentag im Alten- und Krankenpflegebereich getestet, weil dort die körperliche und geistige Arbeitsbelastung als hoch angesehen wird. Gleichzeitig sind der Lohn und der gesellschaftliche Status in diesem Bereich besonders niedrig. So wird auch in Svartedalens Altenheim in Göteborg und in mehreren Einrichtungen für Senioren, Kinder sowie geistig Behinderten in der Hauptstadt Stockholm der Sechsstundentag getestet.

Unabhängig von diesen staatlichen Versuchen hat eine private Toyota-Werkstatt in Göteborg schon vor 13 Jahren den Sechsstundentag zum gleichen Lohn eingeführt, weil die Nachfrage nicht mehr ohne lange Wartezeiten für die Kunden zu bewältigen war. Es gibt seitdem zwei Schichten. Eine von 6 bis 12 Uhr, die zweite von 12 bis 18 Uhr. Die Werkstatt konnte so ihre Öffnungszeiten von 8 auf 12 Stunden erhöhen. Die Werkstatt auszubauen und mehr Leute gleichzeitig acht Stunden lang arbeiten zu lassen, wäre viel teurer gewesen und man hätte schlechter auf die zeitlich schwankende Auslastung reagieren können. »Die Arbeit ist sehr schwer, und wir wussten, dass unsere Leute ohnehin nicht mehr als sechs Stunden effektiv arbeiten«, sagt Werkstatt-Chef Martin Banck der Zeitung »Göteborgs-Posten«. Studien hätten ergeben, dass dies auch in anderen Branchen der Fall sei. Der Gewinn sei im ersten Jahr um 25 Prozent angestiegen, die Krankschreibungen seien deutlich gesunken.