Erdogan bringt Referendum über EU-Beitritt ins Spiel

Türkischer Präsident macht religiöse Gründe für das Stocken der Verhandlungen verantwortlich / Journalist Dündar kritisiert deutsche Zusammenarbeit mit Ankara

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Ankara. Vor dem Hintergrund des Brexit-Referendums hat der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Volksabstimmung über die Fortsetzung der Beitrittsgespräche zwischen der Türkei und der Europäische Union ins Spiel gebracht. In einer Rede am Mittwochabend in Istanbul kritisierte Erdogan laut Nachrichtenagentur Anadolu die lange Dauer der Beitrittsgespräche mit Brüssel und schlug vor, das türkische Volk zu befragen. »Wir können die Leute fragen, so wie es die Briten tun«, erklärte er. »Wir werden fragen: Wollen Sie die Verhandlungen mit der Europäischen Union fortsetzen oder nicht?«

Die Türkei hatte 1963 ein Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Gemeinschaft geschlossen, 1987 reichte Ankara ein Beitrittsgesuch ein. Die Verhandlungen mit Brüssel begannen 2005, doch bis heute wurden nur 15 der 35 Verhandlungskapitel eröffnet. Erdogan warf der EU deshalb vor, dass in 53 Jahren nichts passiert sei. »Warum blockiert ihr?«, fragte er und führte dies auf religiöse Gründe zurück: »Hey EU! Du willst uns nicht akzeptieren, weil die große Mehrheit von uns Muslime sind.« Laut Erdogan habe ein französischer Minister ihm gesagt, die Türkei bemühe sich vergeblich um eine EU-Mitgliedschaft, »weil wir Muslime sind«. Den Namen des Ministers nannte der Staatschef nicht.

Erdogan sagte in seiner Rede weiter, während die Türkei drei Millionen syrischen Flüchtlingen Zuflucht gewähre, habe die Aufnahme von Schutzsuchenden in der EU Streitereien ausgelöst. »Ihr haltet eure Versprechen nicht«, betonte er. Das sei Europas hässliches Gesicht. »Wenn Erdogan euer hässliches Gesicht zeigt, werdet ihr verrückt.«

In den angespannten Beziehungen zwischen Brüssel und Ankara sollte das Flüchtlingsabkommen vom März eine Annäherung bringen, nach dem sich die Türkei zu einer stärkeren Kontrolle der Flüchtlingsroute nach Griechenland verpflichtete. Die EU hatte im Gegenzug versprochen, den Türken Visafreiheit zu gewähren. Solange Ankara seine Anti-Terror-Gesetze nicht lockert, will die EU das Versprechen aber nicht einlösen.

Unterdessen hat der regierungskritische türkische Journalist Can Dündar die deutsche Haltung gegenüber seinem Land kritisiert. »Dass diese sehr repressive Regierung die Unterstützung Deutschlands genießt, hat uns doch überrascht«, erklärte der Chefredakteur der Zeitung »Cumhuriyet« am Donnerstag im »Morgenmagazin«. »Leider ist es so, dass Deutschland sehr stark nach seinen eigenen Interessen handelt, die es anscheinend im Moment schwerer gewichtet als die demokratischen Prinzipien.« Damit spielte Dündar auf den Flüchtlingspakt an.

Dündar war in Istanbul wegen eines Berichts über Waffenlieferungen der Türkei an Islamisten in Syrien zu fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden. Er ist dagegen in Berufung gegangen. Zusammen mit Erdem Gül erhältt Dündar den diesjährigen Leipziger »Preis für die Freiheit und Zukunft der Medien«. Ungeachtet politisch motivierter Verfolgung, Bedrohung und Gefahren für Leib und Leben gingen sie »unabhängig und unvoreingenommen ihrer journalistischen Arbeit nach«, würdigte die Medienstiftung der Sparkasse Leipzig die Preisträger am Donnerstag. Die Auszeichnung ist mit insgesamt 30.000 Euro dotiert und soll bei einem Festakt am 7. Oktober verliehen werden. Agenturen/nd

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