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Eine Leidenschaft in Grau

»Filmstadt Hamburg«

  • Tobias Riegel
  • Lesedauer: 3 Min.

Hamburg als Drehort? Noch dazu für einen internationalen Knaller wie den Bond-Thriller »Der Morgen stirbt nie«? Einige Münchner konnten diese Wahl nur schwer verdauen. So war man bei der »Süddeutschen Zeitung« höchst skeptisch: »Die Hamburger schwelgen zwar im Bond-Fieber, weil sie sich auf Szenen mit der Mönckebergstraße und dem Hotel ›Atlantic‹ freuen - aber der Rest der Republik wird fragen, ob dieser graue Blick auf die Außenalster wirklich fürs Weltkino geeignet ist.« Nun, die »SZ« lag mit dieser Analyse voll daneben, wie der kenntnisreiche Film- und Kinohistoriker Michael Töteberg in seinem aktualisierten Buch »Filmstadt Hamburg - Kino-Geschichten einer Großstadt: Stars, Studios, Schauplätze« deutlich macht: »In Deutschland gingen mehr als 4,5 Millionen Zuschauer für ›Der Morgen stirbt nie‹ ins Kino; auch in den USA und in Übersee lagen die Zahlen über den Werten des vorangegangenen Bond-Films ›GoldenEye‹«.

Es scheint, dass gerade der in Süddeutschland unverstandene »graue Blick auf die Außenalster« eine große Faszination aufs Weltkino und sein Publikum ausübt - eine Faszination für eben jenes Großstadtgraue. Der Reiz von Hamburgs Melancholie, Weltläufigkeit und Härte steht der Verführung durch exotische Länder und mondäne Kasinos offensichtlich in nichts nach. »Hier ist alles im Fluss: Geld, Menschen, Ideen«, erklärt der in Hamburg »A Most Wanted Man« drehende Schauspieler Willem Dafoe den speziellen Reiz der Hafenstadt. Anton Corbijn, der Regisseur des Thrillers, wohnte in St. Georg, gegenüber vom »S.L.U.T.«, Anlaufstelle für die Fetisch- und Dresscode-Szene; im selben Gebäude trifft sich eine islamische Gruppe. »Die Moschee neben dem Sexshop, solche bizarren Vermischungen faszinieren Corbijn«, so Töteberg, und sie faszinieren auch das Publikum.

Töteberg hat noch zahlreiche Anekdoten zu den Dreharbeiten einiger der laut Internet Movie Data Basis 1893 in Hamburg entstandenen Filme parat. Doch er bleibt hier nicht stehen. In weiteren, reich bebilderten Kapiteln gelingt es ihm, die Anfänge, die Geschichte und die Perspektiven der »Filmstadt Hamburg« plastisch zu skizzieren. Unter »Zensoren, Bürokraten & Hilfssheriffs« etwa nimmt Töteberg »Akteneinsicht im Staatsarchiv« und erläutert, was »Polizei und Justiz im Kino« zu suchen hatten. Ein Abschnitt über die Vera-Filmwerke beschreibt Hamburgs einzige Filmproduktionsstätte in den 1920er Jahren, ein Kapitel widmet sich der Filmstadt in der Nazizeit, und ab 1968 versuchte sich die FilmCoop an einem »anderen Kino«.

Als Gesprächspartner oder Objekte der näheren Betrachtung wählte Töteberg die für Hamburg relevanten Filmschaffenden Fatih Akin, Hans Albers, Hark Bohm, Götz George, Erwin Geschonnek, Hildegard Knef, Sophia Loren, Inge Meysel, Heinz Rühmann, Wim Wenders und viele andere.

Michael Töteberg: Filmstadt Hamburg - Kino-Geschichten einer Großstadt: Stars, Studios, Schauplätze. VSA-Verlag Hamburg, 368 S., Farbfotos, geb., 19,80 €.

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