nd-aktuell.de / 05.07.2016 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 2

Kohlestrom tötet grenzenlos

Studie von Umweltorganisationen zeigt dramatische gesundheitliche Folgen der Kohlekraftwerke für die Menschen in der EU auf

Simon Poelchau
Derzeit wird hierzulande wegen des Klimaschutzes über einen Ausstieg aus der Kohleverstromung gestritten. Dabei hat die fossile Energienutzung auch gravierende gesundheitliche Folgen für die Menschen.

Europas Klimasünder Nummer eins liegt rund eine Stunde südlich von Polens drittgrößter Stadt Lodz. Eine Gesamtleistung von 5420 Megawatt hat das Braunkohlekraftwerk Belchatow. Doch dafür blies das Kraftwerk vergangenes Jahr über 37 Millionen Tonnen des Klimakillers Kohlendioxid in die Luft. Und nicht nur das: Es ist jährlich für 1270 vorzeitige Todesfälle verantwortlich, wie eine aktuelle Studie der Umweltorganisationen WWF, HEAL, Sandberg und des Climate Action Network zeigt.

Denn Kohlekraftwerke heizen nicht nur mit ihren CO2-Emissionen das Klima an, sie blasen auch Feinstaub, Stickoxide und Quecksilber in die Luft. Und diese giftigen Emissionen atmen wir dann ein. Mit Folgen: Sie erhöhen das Risiko für Atemwegserkrankungen wie Asthma, chronische Bronchitis oder Lungenkrebs, stressen Herz und Hirn und können sogar eine Typ-2-Diabetes befördern. So sind Europas Kohlekraftwerke laut der Studie der Umweltorganisationen zusammen für 22 900 vorzeitige Todesfälle, Zehntausende Herz- und Lungenkrankheitsfälle und bis zu 62,3 Milliarden Euro an Gesundheitskosten verantwortlich.

Für ihre Studie werteten die Forscher die Abgaswerte von 257 der 280 in der Europäischen Union stehenden Kohlekraftwerke aus und berechneten, wie diese Dämpfe sich ausgehend von den Wetterbedingungen in der Umwelt verteilen und so negativ auf die Gesundheit der Menschen auswirken. Ihr Befund: »Der Report bestätigt erneut, dass unsere Abhängigkeit von Kohlestrom auf den Rücken der Menschen ausgetragen wird und alle Europäer einen hohen gesundheitlichen Preis dafür zahlen«, meint Julia Huscher, Referentin für Energie und Gesundheit bei HEAL. Im Alleingang werde jedoch kein EU-Land das Problem der Luftverschmutzung lösen können.

Die Abgase kennen nämlich keine Grenzen. So sind Polens Kraftwerke etwa für jährlich rund 620 vorzeitige Todesfälle in Deutschland und 430 in Italien verantwortlich. Deutsche Kohlemeiler wiederum raffen jährlich 490 Franzosen und 270 Niederländer dahin.

Die meisten vorzeitigen Todesfälle gehen auf das Konto von polnischen Kraftwerken. Es sind jährlich 5830. Den traurigen zweiten Platz nehmen Deutschlands Kraftwerke ein. Sie verursachen 4350 vorzeitige Sterbefälle. Denn unter den 30 giftigsten Meilern befinden sich sechs hiesige. Allein das brandenburgische Braunkohlekraftwerk Jänschwalde ist der Studie zufolge jährlich für 470 vorzeitige Todesopfer und 157 000 Krankheitstage verantwortlich.

Polen und Deutschland exportieren einen Großteil ihrer giftigen Emissionen: Deutsche Kohlekraftwerke sind laut der Studie jährlich für 2490 vorzeitige Todesfälle jenseits der eigenen Landesgrenzen verantwortlich, polnische für 4690. So verzeichnet Deutschland zwar europaweit mit 3630 die meisten Sterbefälle. Doch Länder wie Belgien oder Österreich, die fast keine Kohlekraftwerke betreiben, müssen 510 beziehungsweise 250 vorzeitige Todesfälle beklagen. Am meisten unter seinen Nachbarn leidet indes Frankreich. Jährlich rund 1200 vorzeitige Tode werden dort von Kohlekraftwerken außerhalb der eigenen Staatsgrenzen verursacht.

»Es liegt im Interesse aller, gemeinsam einen Kohleausstieg in allen EU-Staaten einzuleiten«, sagt Viviane Raddatz, Klimaschutzreferentin beim WWF Deutschland. Denn auch der Klimaschutzaspekt ist nicht gerade zu vernachlässigen. Und genau da hat Deutschland besonders viel Nachholbedarf. »Allein die sieben größten deutschen Braunkohle-kraftwerke sind für 20 Prozent der CO2-Emissionen aus europäischen Kohlekraftwerken verantwortlich«, sagt Raddatz.

So ist das polnische Kohlekraftwerk Belchatow zwar Europas größter Klimasünder. Doch unter den Top-Ten der CO2-Emittenten befinden sich sechs deutsche Braunkohlekraftwerke. Gleich hinter Belchatow befindet sich das nordrhein-westfälische Kraftwerk Neurath auf Platz zwei. Es pustete vergangenes Jahr 32,1 Millionen Tonnen Kohlendioxid in die Luft.