nd-aktuell.de / 06.07.2016 / Kopfball - die EM im Feuilleton / Seite 13

Vom Wässern des Rasens

Die Feuilleton-EM-Kolumne

Miriam Sachs

Fußballfreie Tage liegen hinter uns - was schreiben? Bei der Durchsicht meiner Notate der letzten Spiele sticht mir nur wenig Versiertes entgegen: »14. Min. Kroos spuckte - alle blonden Fußballspieler sehen aus wie Til Schweiger. - Neuer spuckte ins Tor - Gibt es ein vorgegebenes Limit für die Größe der Torwart-Handschuhe? - Das mit Hummels: fies! - Nicht identifizierter Waliser spuckte in der 96. Minute.«

Ja, in der Tat bezieht sich die Mehrheit meiner Notizen auf ein Thema, das mich seit der Kindheit beschäftigt - Fußballer durften es, Kinder nicht: ausspucken auf den Rasen! Das führte mich in späteren Jahren zu der Frage: Wie erwischt die Kamera die Spieler immer dann, wenn sie ausspucken? Spucken sie auf den Rasen, weil sie wissen, dass sie im Bild sind, oder tun sie es einfach immer und ununterbrochen?

Ich habe es nicht klären können, aber eine Tendenz zeichnet sich ab: Es wird in dieser EM weniger gespuckt als sonst! Generell scheinen die Meisterschaften der letzten Jahre immer sauberer zu werden. Wo sind die Zeiten, als die Kapitäne anstandslos ihre vor Schweiß triefenden Hemden wechselten? Gegenseitig! Alles wirkt hygienischer: Der Rasen wird grüner, die Bahnen stechen ins Auge. Das fiel mir auf, als in Vorfreude auf das nahende Deutschland-Frankreich-Spiel, entsprechende Historie gezeigt wurde: In den 80er Jahren sah das Spielfeld aus wie ein Bolzplatz, in den 70ern schwitzten Franzosen und Deutsche unter langen Haarmähnen, während sie heute alle kurzgeschoren oder mit tonnenweise Stylingprodukten oder Zopfgummi im Haar antreten. Und in den 50er Jahren gar - war der Rasen regelrecht grau!

Durch die Berichterstattung im Deutschland-Italien-Spiel lernte ich, dass die Bewässerung des Felds ein schnelleres Spiel verursacht. Die bereits in die Jahre kommenden Italiener lehnten das daher ab - vergeblich! Vor allem, da die Deutschen (es fing gleich nach der Schweigeandacht an) den Feuchtigkeitsgrad durch Spucken auszugleichen wissen. Was ich lange für ein trotziges Markieren des Reviers hielt, dient in Wahrheit der Spieldynamik! Auch kann man im Siegestaumel wahrscheinlich besser auf Knien auf die Ecke zurutschen.

Meine Tochter, die es nicht mag, wenn ich Dinge sage, die ich nicht wirklich weiß, meinte: »Mama, diese Männer erfahren körperliche Anstrengungen, die Du [mitleidiger Blick] niemals durchleben wirst! Lass sie spucken.« Wow. Ja. Sollen sie, wenn sonst alles so clean ist - abgesehen von neuen Ritualen, wie dem Küssen der Füße der Torschützen. Oder der seltsamen Konstruktion des ARD-Studiotisches, der an eine Kloschüssel erinnert - immerhin tadellos geputzt, ihr Rand leuchtet so antiseptisch blau wie frisch gereinigt per WC-Ente. Ergo ich bleibe dabei: Diese EM ist eine saubere Angelegenheit.

Und die UEFA, der harmonische Bilder ja am Herzen liegen und die randalierende Fans und Flitzer gar nicht erst sendet, hat sofort nach oder bereits vor einem sich anbahnenden Auswurf immer schnell diese Amphore zur Hand. Es handelt sich wohl um die spätere Trophäe, die da eingeblendet wird. - Oder ist es doch ein virtueller Spucknapf?

Ich drehe mich im Kreis. Ob weniger gespuckt wird, da alles cleaner wird, oder die Fußballer seltener Großaufnahmen bekommen, weil der UEFA das Rumgereihere stinkt, who knows. Vielleicht ein Symptom, vielleicht auch nur Stein des Anstoßes in der spielfreien Zeit.