Dem Dankeschön folgt das Drama

Leichtathletin Julia Stepanowa durfte nach ihren Dopingenthüllungen bei der EM wieder starten, doch eine Verletzung hielt sie auf

  • Andreas Schirmer, Amsterdam
  • Lesedauer: 3 Min.
Es war ein ungewöhnliches Comeback. Der EM-Start von Whistleblowerin Julia Stepanowa war Lohn für ihren Mut, Doping in ihrer Heimat anzuprangern. Sportlich konnte sie aber kein Zeichen setzen.

Erst winkte die Doping-Kronzeugin schüchtern mit beiden Händen ins Publikum. Dann fiel der Startschuss zum emotionalsten Rennen ihrer Karriere. Alle Augen waren auf die Whistleblowerin Julia Stepanowa gerichtet, doch ihren 800-Meter-Vorlauf bei der Leichtathletik-EM am Mittwoch in Amsterdam musste sie vorzeitig aufgeben. Die mutige Frau mit der Startnummer 2117 konnte die letzten 300 Meter verletzt nur gehen und kam humpelnd in 4:02,4 Minuten als letzte Läuferin ins Ziel. Wegen Betretens des Innenraums wurde sie später sogar noch disqualifiziert.

Im Kampf gegen Doping steht sie dafür seit knapp zwei Jahren an vorderster Front. »Ich bin glücklich und dankbar, hier sein zu dürfen«, sagte Stepanowa nach dem Rennen. »Der Druck war sehr groß. Viele haben nicht an mich geglaubt.« Geholfen habe ihr, dass im Umkleideraum Athletinnen zur ihr gekommen seien und gesagt hätten: »Danke für das, was du getan hast. Das hat mir sehr geholfen.« So berichtete es die Russin später.

Bei ihrem Lauf war eine Sehnenverletzung im rechten Fuß, die sie schon seit Wochen plagt, so schlimm geworden, dass sie das Rennen abbrechen musste. Nach einer ersten Diagnose eines Arztes kann die Verletzung schnell wieder auskuriert werden, so dass ein Start bei den Olympischen Spielen in Rio möglich wäre. Ein Brief, in dem Stepanowa um eine Starterlaubnis bittet, ist in dieser Woche beim Internationalen Olympischen Komitee eingegangen.

»Nach all den Monaten ist das Wichtigste, dass sie wieder die Möglichkeit hat zu laufen«, hatte ihr Ehemann Witali Stepanow vor dem Comeback in einem Interview mit der französischen Sportzeitung »L’Équipe« gesagt. »Sie will einfach nur teilnehmen, die Regeln und ihre Gegner respektieren.«

Die 30-jährige Mittelstreckenläuferin sei immer im Training gewesen, sagte sie. Sie habe aber nicht so hart trainiert, um unbedingt eine Zeit unter zwei Minuten laufen zu können, »weil sie nie genau wusste, ob ihr eine Teilnahme überhaupt erlaubt würde«. Ein Olympiastart hätte daher eher symbolischen Charakter. Ihre Bestzeit von 1:58,99 Minuten hatte Stepanowa noch unter ihrem Mädchennamen Russanowa im Jahr 2009 aufgestellt. »Sie steht für ein Signal für saubere Athleten. Wir sind glücklich, dass sie hier ist«, sagte Svein Arne Hansen, Präsident des Europäischen Verbandes. »Sie hat Großartiges geleistet, um saubere Athleten zu schützen.«

Es ist wohl das ungewöhnlichste Comeback der Leichtathletikgeschichte, war Stepanowa doch selbst im Jahr 2013 wegen Dopings für zwei Jahre gesperrt worden. Im Dezember 2014 sorgte sie mit ihren Enthüllungen in einer ARD-Dokumentation für ein sportpolitisches Erdbeben. Eine Kommission der Welt-Antidoping-Agentur lieferte die Bestätigung ihres Vorwurfs, dass es in der Leichtathletik ihres Landes ein flächendeckendes Betrugssystem gibt. Russlands Verband wurde vom Weltverband IAAF suspendiert. Die Sperre wurde am 17. Juni bestätigt und damit der Ausschluss für die EM und die Olympischen Spiele in Rio amtlich.

Julia Stepanowa war 2011 für Russland bei der Hallen-EM Dritte und im gleichen Jahr WM-Achte geworden. Beide Ergebnisse wurden annulliert, weil sie wegen Auffälligkeiten im biologischen Pass gesperrt wurde. Nachdem sie in der ARD-Doku ausgepackt hatte, flüchtete die Familie Stepanowa zunächst nach Deutschland und lebt nun im Exil in den USA. In ihrer Heimat gilt sie als Verräterin.

Dafür, dass der Weltverband IAAF ihr eine Sonderstarterlaubnis wegen ihrer »wirklich außergewöhnlichen Verdienste« um die Bekämpfung des Dopings gewährt hat, seien beide Stepanows sehr dankbar. Dass Russlands Verband und damit alle Leichtathleten kollektiv suspendiert wurden finden die Whistleblower schade. »Wir bekämpfen nicht die Athleten, sondern ein System. Und dafür, dass die Wettbewerbe in Zukunft gerecht ablaufen«, erklärte Ehemann Witali, der in Russland einst für die Antidoping-Agentur arbeitete. dpa/nd

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