Ging Elvis in den Konsum?

  • Andreas Gläser
  • Lesedauer: 3 Min.

Früher, wenn meine Oma ihre »Thüringer Allgemeine« las, sagte sie, mal gucken, wer nicht mehr in den Konsum geht. Damit meinte sie die Leute des kleinen Städtchens, die in den Todesanzeigen auftauchten. Ich bekam manche Episode zu hören, über jemanden aus dem fernen Bekanntenkreis, der nun nicht mehr war. Dieser Teil ihrer Zeitungsschau hatte nichts Dramatisches, denn wenn sich ein altes Haus verabschiedete, sagte meine Oma, sollte man die Kirche im Dorf lassen. Auch wenn es traurig sei, wenn ein Mensch starb, oder sogar 1,76 Menschen, wie es statistisch gesehen pro Sekunde der Fall sein soll. Selbst um die Prominenten müsse man nicht übermäßig jammern, die hätten immerhin ein erfülltes Leben gehabt. Im hinteren Teil der »Thüringer Allgemeinen« wurden die Sternchen des Kosmos von Apolda betrauert, die es auch mit ihrem Ableben nicht auf die Titelseiten der überregionalen Ausgabe geschafft hatten. Und wenn sich in den 70er und 80er eine Berühmtheit aus Funk und Fernsehen verabschiedete, so war das selten einer meiner Helden gewesen.

Doch mein Kumpel Florian Ludwig, der das Buch »Mit Fußfesseln bin ich nicht so flott« geschrieben hat, betitelte einen seiner Texte mit: »Die Einschläge rücken näher«. Darin geht es um die Verabschiedungsszenarien um unsere coolen Rock ‘n‘ Roller, die nur wenige Jährchen Vorsprung haben und uns mit ihrem Ableben, oftmals sogar auf natürliche Weise, ins Bewusstsein hämmern, dass wir eines baldigen Tages dran sind. Wenn unsere Helden das Zeitliche segnen, werden sie von Millionen Erdenmenschlein betrauert, die Anteilnahme nimmt inflationäre Züge an. In jedem Internetforum scheinen selbst die bis dato Ahnungslosen dem Verstorbenen ein »Ruhe in Frieden« hinterherzufurzen. Plötzlich erinnert jeder Song, jeder Film an die eigene Jugend. Medial wird das Leben vom guten alten Rockgaul oft überhöht, fast schon bis zur Heiligsprechung; er sei derjenige gewesen, der die Musikwelt am meisten inspirierte und alle Rekorde aufgestellt hätte. Wenn ein Schauspieler gestorben ist, schreibe ich lieber nicht solch Episödchen ins Netz, dass er mich an einen Kino-Nachmittag erinnert, den ich erst belustigend fand, als ein genervter Gast sich vorzeitig durch ein großes Tor an der Seite des Saals verabschiedete, worauf es weiterhin offen stand, das Sonnenlicht die Leinwand überstrahlte und viele Kinder in Aufregung versetzte.

Jedenfalls blüht einigen meiner jahrzehntelangen musikalischen Favoriten dieser Hokuspokus auch, wenn sie nicht mehr im Stande sein werden, die »Thüringer Allgemeine« aus dem Briefkasten zu holen. Dabei glaube ich, dass man als alter Knochen während seiner letzten Atemzüge am unendlichen Dasein so uninteressiert ist wie während seiner frühen Kindheit. Das wäre auch schön.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Linken, unabhängigen Journalismus stärken!

Mehr und mehr Menschen lesen digital und sehr gern kostenfrei. Wir stehen mit unserem freiwilligen Bezahlmodell dafür ein, dass uns auch diejenigen lesen können, deren Einkommen für ein Abonnement nicht ausreicht. Damit wir weiterhin Journalismus mit dem Anspruch machen können, marginalisierte Stimmen zu Wort kommen zu lassen, Themen zu recherchieren, die in den großen bürgerlichen Medien nicht vor- oder zu kurz kommen, und aktuelle Themen aus linker Perspektive zu beleuchten, brauchen wir eure Unterstützung.

Hilf mit bei einer solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl.

Unterstützen über:
  • PayPal