nd-aktuell.de / 12.07.2016 / Politik / Seite 10

Ambivalente Zeit 
im Bruderstaat

Ein Comic macht die Geschichte der mosambikanischen Vertragsarbeiter in der DDR lebendig

Ralf Hutter
Madgermanes, die »aus Deutschland Kommenden« werden in Morsambik ehemalige DDR-Vertragsarbeiter genannt. Ein Comic beschreibt schöne wie unschöne Erfahrungen aus dieser Zeit.

»Kennen Sie Ilmenau?« Diese Frage, zumal auf Deutsch, erwartet wohl kaum jemand bei einem Marktbummel in Pemba. Pemba ist eine Stadt im südostafrikanischen Land Mosambik, einem der ehemaligen sozialistischen »Bruderstaaten«, das Menschen zur Ausbildung in die DDR schickte. Die meisten von ihnen mussten nach dem Fall der Mauer wieder zurück und können so heute in ihrer Heimat Deutsche in deren Muttersprache begrüßen. Ganz so, wie Birgit Weyhe die Marktszene bei ihren Mosambik-Besuch vor neun Jahren in ihrem neuen Comicroman »Madgermanes« beschreibt, ist es in ihrem Fall zwar nicht abgelaufen, aber andere Leute haben ähnliches erlebt.

Weyhe wurde 1969 in München geboren, verbrachte ihre ganze Schulzeit aber in Uganda und Kenia. Erst zum Studium ging sie wieder nach Deutschland, heute lebt sie in Hamburg. Das Gefühl, zwei Heimaten zu haben, verbindet sie mit den »Madgermanes«, wie die aus der DDR Zurückgekehrten in Mosambik heißen, sagt Birgit Weyhe im nd-Gespräch. »Nach den ersten Interviews in Pemba war das für mich der Knackpunkt, diese Geschichte zu machen.« Nicht nur eine unstillbare Sehnsucht nach Heimat bekam die studierte Illustratorin bei diesen Menschen mit, sondern auch, wie wütend und frustriert viele von ihnen sind, weil ihnen über die Hälfte ihres DDR-Lohns nie ausgezahlt wurde. Immer noch demonstrieren einige der »Madgermanes« regelmäßig in der Hauptstadt Maputo.

Bei ihren Recherchen stellte Weyhe fest, dass das Wort »Madgermanes« nicht aus dem Englischen kommt, wie mittlerweile selbst viele Betroffene glauben. Es bedeutet also nichts mit verrückt oder wütend (englisch: »mad«) und kommt auch nicht von »Made in Germany«. Vielmehr zeige in einer südmosambikanischen Sprache die Vorsilbe »ma« an, woher jemand kommt. Die »aus Deutschland Kommenden« waren anders als die Mehrheit in ihrem Heimatland. Zum einen waren sie lange weg gewesen und hatten ganz andere Erfahrungen gemacht. Zum anderen wurde ihnen unterstellt, dass sie viel Geld hätten.

Doch das stimmte nicht. Die Vertragsarbeiter erhielten in der DDR nur oder nicht einmal die Hälfte ihres Lohnes ausbezahlt. Der Rest sollte nach ihrer Rückkehr folgen. Mittlerweile ist laut Weyhe erwiesen, dass das Geld in Mosambik ankam. Nur war es nicht auffindbar, als 1990 der Bürgerkrieg endete und die Madgermanes auf der Matte standen.

Einige der Betroffenen blicken dennoch mit Nostalgie zurück, sagt Birgit Weyhe. Die Zeit in der DDR brachte schöne wie unschöne Erfahrungen. Am Arbeitsplatz, auf der Straße und in Gaststätten gab es sowohl freundliche als auch rassistische Deutsche.

Die Ausgangsbedingungen waren freilich schlecht. »In der ersten Zeit lernten die Mosambikaner in der DDR tatsächlich erst einmal ein Handwerk«, sagt Weyhe zwar. Bei den späteren Jahrgängen - die Ersten waren 1979 angekommen, an die 20 000 wurden es laut der Autorin insgesamt - ging es nur noch darum, dort eingesetzt zu werden, wo es der Planwirtschaft diente. Die Träume der einzelnen und auch ihres Staatschefs Samora Machel von guten Berufen erfüllten sich eher nicht mehr. Außerdem lebten die Mosambikaner ausgegrenzt in Heimen, die abends abgesperrt wurden. Sie sollten in der Freizeit keinen Kontakt zu Einheimischen haben, schwangere Frauen wurden abgeschoben oder in die Abtreibung getrieben. Und das in einer fremden Welt, mit anderen Gerüchen und Farben, mit Kälte und Heizungsluft im Winter - und überall hingen Uhren. Positiv waren die Möglichkeiten, Literatur (in Bibliotheken), Musik und Filme kennenzulernen sowie sich abends weiterbilden zu können. Die Männer kamen zudem durch ihre tänzerischen Fähigkeiten und ihr Modebewusstsein gut bei deutschen Frauen an. Die Möglichkeit, sich ausleben zu können, machte die Zeit in der DDR für einen von Weyhes fiktiven Protagonisten zur schönsten seines Lebens.

Die Autorin stellt die Lage der Gastarbeiter in ihrem Buch feinfühlig dar und versinnbildlicht sie sehr gut. Dabei kommen viele afrikanische Motive vor, oft bebildern sie afrikanische Sprichwörter. Weyhe perfektioniert den etwas abgehackten Stil, den sie schon in ihren anderen grafischen Romanen angewandt hat: Die Bildfolgen setzen oft nicht auf die Kontinuität einer Szene, sondern jedes einzelne hat dann eine Aussage für sich. Besonders schön gelingt das in »Madgermanes« beispielsweise, wenn sich einer der erzwungenen Rückkehrer darüber freut, mit seinesgleichen hin und wieder bei Treffen Deutsch sprechen zu können, und das Bild dazu zwei Schwarze in Kleidung und Pose des berühmten Weimarer Goethe-Schiller-Denkmals zeigt. Doppelbödig wird es, wenn der Satz: »Sie haben ja keine Religion gehabt«, mit einer Zeichnung von Marx und Engels bebildert wird, denn das legt nahe, dass die Autorin den Marxismus-Leninismus doch auch als religionsartig ansieht.

DDR-Ästhetik gibt es generell viel im dreifarbig gehaltenen Buch, auch viele Konsumartikel aus der Zeit werden abgebildet. Die literarische und grafische Qualität des im Mai veröffentlichten Buches hat ihm bereits am 27. Mai den Preis als bester deutscher Comic auf Deutschlands größtem Comic-Festival, dem Comic-Salon in Erlangen, eingetragen. Die Jury schreibt: »Birgit Weyhe spürt den Gefühlen und Umständen nach und setzt sie vor allem deshalb so überwältigend ins Bild, weil sie auch zeichnerisch in einen Dialog tritt zwischen europäischer und afrikanischer Kultur.«

Ein kleiner Teil der Mosambikaner erkämpfte sich nach dem Fall der Mauer das Aufenthaltsrecht, viele gingen in die alten Bundesländer, wo sie willkommene Arbeitskräfte waren. Noch heute gebe es in Stuttgart und München größere Gruppen von ihnen, berichtet Birgit Weyhe. Deren Geschichte ist ebenfalls ins Buch eingeflossen.

Vor Kurzem hat die Autorin ihr Werk auf Einladung des Goethe-Instituts in Maputo vorgestellt. Trotz anfänglicher Ablehnung seien auch einige der von der Angelegenheit frustrierten »Madgermanes« gekommen, berichtet sie. »Letzten Endes waren sie froh, dass jemand diese Geschichte erzählt.«

Birgit Weyhe, Madgermanes, avant-Verlag, 236 Seiten, 24,95 Euro. Buchvorstellungstermine mit der Autorin finden sich unter: www.avant-verlag.de[1]

Links:

  1. http://www.avant-verlag.de