Enthaltung wird als Ja gewertet

Der Abgeordnete René Wilke (LINKE) muss sein Votum zur Kommunalreform rechtfertigen

Karrierist, schimpft ihn die AfD. Auch die CDU kritisiert ihn. Nach der Abstimmung zur Kommunalreform hat es Frankfurts einziger Landtagsabgeordneter René Wilke schwer in seiner Heimatstadt.

Der Landtagsabgeordnete René Wilke (LINKE) hat bis zur letzten Sekunde überlegt, ob er doch noch Nein sagt zur Kommunalreform. Selbst als am 13. Juli im Parlament sein Name aufgerufen wurde, durchzuckte ihn noch einmal der Gedanke: »Wenn du jetzt Nein sagst, dann kannst du als Held in deine Heimatstadt Frankfurt (Oder) zurückkehren.« Wilke zögerte kurz, bevor er sich dann doch wie angekündigt der Stimme enthielt.

Außer Wilke enthielt sich noch Kerstin Kircheis (SPD). Ansonsten stimmte die rot-rote Koalition geschlossen für das Leitbild, das den Rahmen für die geplante Verwaltungsstrukturreform vorgibt. Viele Aspekte des Vorhabens sind umstritten, besonders aber die Tatsache, dass Cottbus, Brandenburg/Havel und Frankfurt (Oder) mit dem umliegenden Landkreisen zusammengelegt werden sollen. Weil auch die oppositionellen Grünen Veränderungen für notwendig halten und sich deswegen der Stimme enthalten haben, kam es gar nicht darauf an, ob René Wilke Nein sagt. Das Leitbild hätte den Landtag so oder so passiert.

Dennoch muss der 32-Jährige sich nun in Frankfurt (Oder) einiges anhören. »Wir haben erwartet, dass es deutlich mehr Abgeordnete der Landkreise und kreisfreien Städte gibt, die ganz klar gegen diesen Leitbildantrag stimmen«, hatte der CDU-Kreisvorsitzende Michael Möckel erklärt. »Eine Stimmenthaltung ist keine Gegenstimme. Sie kann auch als solche nicht uminterpretiert werden.«

Der AfD-Stadtvorsitzende Wilko Möller polterte in einem Leserbrief an ein örtliches Anzeigenblatt: Wieder einmal habe René Wilke bewiesen, dass er sich um Frankfurt (Oder) überhaupt nicht kümmere. Wilke habe »einzig aus parteitaktischen Gründen bei der Abstimmung kein Rückgrat gezeigt«. Möller bezeichnete den Landtagsabgeordneten als Karrieristen, der das eigene Fortkommen über die Interessen der Bürger stelle.

Wilke nahm die Anwürfe am Montag zum Anlass, noch einmal seine Beweggründe darzulegen. Ihm ist klar, welche Stimmung in der Stadt herrscht. Den eigenen Genossen im Kreisverband wäre es lieber gewesen, wenn der einzige Landtagsabgeordnete aus Frankfurt (Oder), ihr Mann in Potsdam, gegen die Kommunalreform gestimmt hätte, sagt Wilke. »Sie hätten sich gewünscht, dass ich keine Angriffsfläche biete.« Immerhin ist in zwei Jahren in Frankfurt (Oder) Oberbürgermeisterwahl. René Wilke hat sich dazu noch nicht geäußert. Aber viele erwarten, dass er antreten wird. Die Enthaltung und der Streit darum verbessern seine Aussichten gewiss nicht. »Aber ich habe der Stadt einen finanziellen Gestaltungsspielraum verschafft«, sagt Wilke.

Das hilft auch dem künftigen Oberbürgermeister, ob er nun René Wilke heißen würde oder Martin Wilke oder anders. Martin Wilke, das ist der aktuelle Oberbürgermeister - parteilos, einst aufgestellt von CDU und SPD, mit René Wilke weder verwandt noch verschwägert und strikter Gegner der Kommunalreform.

Ohnehin ist im Zuge der Kommunalreform vorgesehen, der mit 120 Millionen Euro hoch verschuldeten Stadt Frankfurt (Oder) die Hälfte ihrer Verbindlichkeiten abzunehmen. Darüber hinaus erreichte René Wilke jedoch in Verhandlungen gemeinsam mit seinem Cottbuser Linksfraktionskollegen Matthias Loehr eine Reihe von zusätzlichen Zugeständnissen, von denen auch Brandenburg/Havel profitiert. So soll es künftig nicht weniger Zuschüsse vom Land geben, obwohl den drei Städten Aufgaben abgenommen werden. Die Summe zur Teilentschuldung soll früh auf einen Schlag ausgezahlt werden statt auf bis zu acht Jahresscheiben aufgeteilt. Bei den Kulturausgaben beispielsweise für das Kleist-Museum und das Staatsorchester in Frankfurt (Oder) soll es eine Entlastung um 2,5 Millionen Euro geben. Außerdem wird eine Investitionshilfe gewährt. Damit könne der Reparaturrückstau bei den Straßenbahnen abgebaut werden, erklärt Wilke. »Das macht ein Gesamtvolumen von zirka 80 Millionen Euro aus«, rechnet er vor.

»Die CDU kann sich gerne eine andere Welt wünschen, in der diese Themen nicht mit einer Strukturveränderung verknüpft werden«, sagt Wilke. »Diesen Wunsch teile ich sogar. Ich mache aber keine Politik in einer Traumwelt, sondern in der realen.« Wer ihm jetzt Vorwürfe mache, sollte sich selbstkritisch fragen, was er persönlich in der Reformdebatte für Frankfurt (Oder) herausholen konnte. »Rein gar nichts.« Ihm daraus einen Vorwurf zu machen, dass er Verbesserungen für Frankfurt (Oder) aushandeln konnte, so sagt Wilke, halte er »für sehr gewagt, frech und deplatziert«.

Hätte er mit Nein gestimmt, hätte es die Zugeständnisse nicht gegeben, versichert der 32-Jährige, der sich zwischen alle Stühle setzte. Denn seine Enthaltung wird nun in Frankfurt (Oder) wie ein Ja gewertet und in der Landtagsfraktion wie ein Nein. Hätte er aber Nein gesagt, erklärt Wilke, dann hätte er »persönlichem Nutzen den Vorrang gegeben und für unsere Stadt großen Schaden angerichtet«. Genau diese Art der »Politik der Kurzsichtigkeit«, der »Profilierungssucht zum eigenen Nutzen« lehne er ab.

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