nd-aktuell.de / 28.07.2016 / Gesund leben / Seite 10

Drogen im Kirchturm

Uwe Kraus

Der pensionierte Tierarzt Dietmar Küchenmeister sammelte während seines Berufslebens Magen-, Gallen- und Nierensteine wie auch Föten, eine Trichinenfreiheitsbescheinigung von 1884 ebenso wie einen Impfstab und alte Instrumente, von denen selbst die Hersteller von heute nicht mehr so recht wissen, wozu sie dienten. Sein Museum befindet sich auf dem geschichtsträchtigen Gehöft der Familie im Vorharzort Badersleben. Hier wurde Professor Friedrich Heinrich Roloff geboren, der führende Tiermediziner der späten 1800er Jahre, dessen Trauerrede wiederum Rudolf Virchow hielt. Wenige Kilometer entfernt entdeckten Eckart Roloff und Karin Henke-Wendt bei der Recherche zu ihrem zweibändigen Reiseführer »Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker« die deutschlandweit einzige Apotheke in einer Kirche. Doch im Turmmuseum von St. Marien in 36 Meter Höhe kriegt der Patient für sein Rezept weder Schlaf- noch Schmerztabletten, keinen Baldrian, kein Zäpfchen.

Die beiden Einrichtungen zählen zu den bundesweit fast 170 Museen und Sammlungen, die sich mit Medizin und Pharmazie befassen. Das Autoren-Duo trägt dazu akribisch und unterhaltsam viel Lesenswertes zusammen, was weit über die Medizinhistorie hinaus bis in die Literatur und Weltgeschichte reicht. Es blendet die Ärzte, die im KZ Sachsenhausen zu Verbrechern wurden, nicht aus. Vom Schnarch-, Blinden- und Dialyse- über ein Brillenmuseum bis zur Alzheimer-Gedenkstätte und dem Rheumatikum kann jeder Interessierte spezielle museale Schätze heben. Man trifft auf Hahnemann und seine Homöopathie sowie auf den geheimnisvollen Seelenforscher und Dichter Justinus Kerner. Auch Heinrich Hoffmann, der Psychiater und Schöpfer des »Struwwelpeter« kommt vor, und nicht zuletzt der »Quacksalber« und Entertainer Doktor Eisenbart.

Die Nord-Süd-Teilung der Bände bringt mit sich, dass das medizinmuseumsreiche Nordrhein-Westfalen im Band I, Thüringen als einziges Neubundesland im zweiten erscheint. Roloff und Henke-Wendt belassen es nicht beim Hinweis, wo die Expositionen stehen, sondern geben Tipps zum Einkehren in der Region und den Öffnungszeiten. Ein großes Plus des Reiseführers, der viele fast versteckte, bisweilen auch eher kuriose Sammlungen zeigt, sind die Piktogramme, die einen schnellen Überblick über Parkplätze, Kinderangebote, Fotoerlaubnis, Behindertenfreundlichkeit oder Eintrittspreis vermitteln.

Die Bilder der beiden Bücher haben eher homöopathische Größe, weniger wäre da mehr gewesen, und lassen leider Erläuterungen vermissen. Auf den letzten Seiten finden sich Listen von Fachgebieten, Orten und Literatur nebst einem Blick über die (süd-)deutschen Grenzen auf die 35 Museen in Österreich, der Schweiz und Südtirol, was die nächste Reiseplanung erleichtert.

Eckart Roloff / Karin Henke-Wendt: Besuchen Sie Ihren Arzt oder Apotheker - Eine Tour durch Deutschlands Museen für Medizin und Pharmazie, Hirzel Verlag 2015; Zwei Bände, 257/266 S. je 29,90 €.