nd-aktuell.de / 30.07.2016 / Kultur / Seite 25

Rudolf Bultmann

Kalenderblatt

Martin Stolzenau

Mit seiner Interpretation der Evangelien versuchte er einen Spagat zwischen Glauben und Verstehen, zwischen Christentum und Moderne. 40 Jahre nach seinem Tod gilt er heute als einer der wirkungsvollsten deutschen Theologen des 20. Jahrhunderts. Die Liste seiner prominenten Anhänger reicht von Dietrich Bonhoeffer bis Uta Ranke-Heinemann.

Rudolf Bultmann wurde am 20. August 1884 in Wiefelstede, nördlich von Oldenburg, geboren. Sein Vater war ein evangelischer Pfarrer mit liberaler Orientierung, die Mutter vertrat eine eher pietistische Auffassung vom Glauben. Daraus ergaben sich schon im Elternhaus kontroverse Diskussionen. Der junge Bultmann absolvierte zusammen mit Karl Jaspers das Humanistische Gymnasium und studierte anschließend nacheinander in Tübingen, Berlin und Marburg Theologie. Nach Promotion und Habilitation lehrte er ab 1912 in Marburg als Privatdozent, bevor er nach Breslau und dann nach Gießen berufen wurde. Zwischendurch heiratete er Helene Feldmann, der er - auch literarisch begabt - zahlreiche selbstverfasste Gedichte sowie Märchen widmete.

1921 veröffentlichte der aufstrebende Theologe »Die Geschichte der synoptischen Tradition«, die noch heute als ein Standardwerk gilt. Das aufsehenerregende Werk trug ihm die Rückberufung nach Marburg ein, wo er im lebhaften Gedankenaustausch mit dem ebenfalls dort lehrenden Philosophen Martin Heidegger zu neuen Erkenntnissen gelangte, die sich in weiteren theologischen Veröffentlichungen niederschlugen, so im Buch »Jesus« von 1926 und »Kirche und Lehre im Neuen Testament« von 1929.

Bultmann war ein konsequenter Nazigegner, wurde Mitglied der Bekennenden Kirche und des Pfarrernotbundes. In seinen Predigten verwies er auf den Gegensatz von Naziideologie und Christentum und verurteilte den »Arier-Paragraphen«. 1941 entfachte der Professor für Neues Testament an der Philipps-Universität mit seinem Beitrag »Neues Testament und Mythologie« eine Entmythologisierungsdebatte, die nach Kriegsende ausuferte und 1952 auf der Flensburger Synode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zu einer bischöflichen Erklärung gegen Bultmanns Lehren führte. Doch der nun international bekannte Theologe beharrte auf seinen Überlegungen: »Man kann nicht elektrisches Licht und Radioapparat benutzen, in Krankheitsfällen moderne medizinische und klinische Mittel in Anspruch nehmen und gleichzeitig an die Geistes- und Wunderwelt des Neuen Testaments glauben. Und wer meint, es für seine Person tun zu können, muß sich klar machen, daß er, wenn er das für die Haltung des christlichen Glaubens erklärt, damit die christliche Verkündigung in der Gegenwart unverständlich und unmöglich macht.«

Der streitbare Theologe starb am 30. Juli 1976 in Marburg. Martin Stolzenau