Ein guter Jahrgang

Abschluss des Premieren-Zyklus bei den diesjährigen Bayreuther Richard-Wagner Festspielen

  • Roberto Becker
  • Lesedauer: 4 Min.

Katharina Wagner kassierte nach der Wiederaufnahme ihres »Tristan« vom letzten Jahr einige Buhs als Regisseurin. Ist halt so, wenn man statt auf dem Schiff oder in lauschiger Sommernacht mit einem Treppenlabyrinth und einem Gefängnishof der Entgrenzung der Leidenschaft auf der Spur ist. Dass sie ihren Job als Festspielchefin so schlecht nicht gemacht haben kann, ist schon daran zu erkennen, dass auch die neu, manche buchstäblich in letzter Sekunde eingestiegenen Akteure auf der Bühne und im Graben durchweg bejubelt wurden.

Am meisten sahnte aber Christian Thielemann ab, als er den Eröffnungs-Marathon mit einem »Tristan« krönte, der nicht so ganz von dieser Welt war. Irgendwie direkt aus der Hexenküche des Meisters selbst zu uns hinüber zu wehen schien. Atemberaubend wozu dieses Orchester in der Lage ist. Und wenn man dann noch einen standfesten Tristan wie Stephen Gould hat und Petra Lang von ihrer Brangäne-Erfahrung her als dunkle, aber auch leuchtende Isolde debütiert, dann sind diese Festspiele ganz bei sich und ihrem Sinn. Welche Aktie Thielemann wirklich an Andris Nelsons nebulöser Hügelflucht hatte, interessierte am Ende nicht mehr wirklich. Es herrschte fast Konsens, dass man dem »Ersatzmann« Hartmut Haenchen den neuen Parsifal lassen sollte.

Auch Marek Janowski (77) darf sich vom allgemeinen Zuspruch als Nachfolger des gefeierten Kirill Petrenko am Ring-Pult ermutigt fühlen. Der Einstieg des Altmeisters ist zudem ein Akt historischer Gerechtigkeit. Seine Ring-Einspielung mit der Dresdener Staatskapelle vom Anfang der Achtziger Jahre bleibt eine Referenzaufnahme. Auch wenn es jetzt manchmal noch hakte - Janowski ist ein Glücksfall: Sinnlich, sängerfreundlich, fließend, betörend - auf seine eigene Weise suggestiv und spannend.

Szenisch entspricht ohnehin vor allem der aktuelle Ring dem, was ein zentrales, weltweit begehrtes Festival für einen Komponisten sein sollte, nämlich ein produktives, auch provozierendes Kraftzentrum für dessen Rezeption. Schade, dass Frank Castorf diesmal beim Schlussapplaus gekniffen hat. So gingen die notorischen Buhs ins Leere. Und die Bravos hatten keine Chance, ihren Adressanten zu treffen.

Wer seine Freude an der szenischen Fantasie und Lust am Theater hat, an den dominierenden Bühnenbildnern von Aleksandar Denić, also dem Versuch, eine vorgegebene Geschichte so zu übersetzen, dass sie uns angeht, der kommt auch in diesem Jahr auf seine Kosten. Etwa, wenn er plötzlich in der rabiat halbseidenen Göttergesellschaft im Golden Motel an der Route 66 im »Rheingold« jenes Amerika erkennt, das jetzt der ganzen Welt mit Föhnfrisur und einer großen Klappe Angst einjagt. Oder wie in der »Walküre« die Geschichte um das Öl am Kaspischen Meer erblickt, dessen Bedeutung für Russland und die Sowjets, und auch die Gier der faschistischen Eroberer danach begreift, mit Hundings latenter Brutalität, Wotans Skrupellosigkeit und dem Zynismus der Walküren.

Beim »Siegfried« kann man sich dann über den Nachwuchs bei den Krokodilen freuen (oder ärgern), den es auf dem Alexanderplatz auf der Rückseite der Gebirgswand mit den Köpfen der roten Säulenheiligen Marx, Lenin, Stalin und Mao auch in diesem Jahr gab. In der »Götterdämmerung« staunt man schließlich, wie es gelingt, die Dialektik einer Welt zwischen dem Fassadenglanz der New Yorker Börse und der Tristesse eines Welthinterhofes mit Berliner Mauerrest auf den Punkt zu bringen. All das erschließt sich nicht ohne etwas Nachdenkanstrengung, zumal die »Ring«-Macher selbst eine in die Irre führende Ölpur gelegt haben. Es geht auch ums Öl - aber eigentlich geht es um das Scheitern aller bisherigen Versuche, die Welt zu verändern. Und um ein Musik-Theater, das von der menschlichen Selbstverständlichkeit profitiert, mit der sich alle bewegen.

Die Castorf-typischen Live-Kameras für diverse Großaufnahmen erlauben es den Sängerdarstellern, selbst für die hintersten Reihen im Festspielhaus ihre Rollen nicht nur zu singen, sondern sie auch zu erspielen.

Einige ragen dabei heraus: Catherine Foster etwa liefert mittlerweile die Weltklasse-Brünnhilde, die Bayreuth dann doch zum Maß der (Wagner-)Dinge macht. Auch Stefan Vinke wächst dadurch inspiriert an seinem Siegfried. Ganz an die Spitze seines Fachs hat es in diesem Jahr Georg Zeppenfeld mit seinem Gurnemanz, dem Hunding und dann auch noch König Marke geschafft. Alles erstklassig, jede Silbe zu verstehen! Dann noch Klaus Florian Vogt als Parsifal und mit seinem Nachfolger fürs nächste Jahr, Andreas Schager, jetzt als Erik im Holländer. Alles in Allem - trotz der dann nicht wirklich lästigen Kontrollen und der nicht wirklich fehlenden Politiker und Blechlawinen vor dem Haus - ein ganz guter Jahrgang.

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