Jeder zweite Patient zahlt für Extraleistungen

IGeL: Was individuelle Gesundheitsleistungen bringen

  • Lesedauer: 3 Min.
Die Individuellen Gesundheitsleistungen - kurz IGeL genannt - kosten Geld und nützen oft nichts. Regelmäßig nehmen die Krankenkassen das Extrageschäft mit den Selbstzahlerleistungen in den Praxen unter die Lupe. Dieses Jahr geht es um Ultraschalluntersuchungen in der Schwangerschaft.

Die meisten Patienten - 82 Prozent - kennen Selbstzahlerleistungen. 52 Prozent sagen Ja, wenn ihnen der Arzt eine Zusatzleistung empfiehlt, die sie selbst bezahlen müssen. Und das, obwohl sich drei Viertel nicht ausreichend informiert fühlen über mögliche Risiken, wie aus einer Befragung von 2149 Patienten im Auftrag des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes der Krankenkassen (MDS) hervorgeht.

Extraleistungen bei Frauen- und Augenärzten sehr hoch

Regelmäßig blickt der Medizinische Dienst kritisch auf die sogenannten Individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL). Etwa eine Milliarde Euro setzen die Ärzte laut MDS mit dem Verkauf von Extraleistungen um. Spitzenreiter sind Frauen- und Augenärzte, gefolgt von Orthopäden, Hautärzten und Urologen.

Ein Teil der Ärzte gehe geradezu aggressiv vor, kritisierte MDS-Geschäftsführer Peter Pick, während andere die Extraleistungen, für die Ärzte das bis zu Dreieinhalbfache des Kassenhonorars berechnen dürfen, kritisch sähen.

Peter Pick forderte die Ärzteverbände auf, gegen die Verkaufsstrategien vorzugehen, in die häufig auch das Praxispersonal eingebunden werde. Die Angebote führen dem MDS zufolge vielfach zur Verunsicherung der Patienten. So sagen Schwangere, dass sie nicht wissen, ob sie sich für oder gegen zusätzliche Ultraschalluntersuchungen entscheiden sollen. Bei der Beschwerdestelle des IGeL-Monitors berichteten Frauen, sie würden unter Druck gesetzt und bei der Terminvergabe benachteiligt, wenn sie sich weigerten, etwa ein Ultraschall-Abo für die Zeit der Schwangerschaft zu bezahlen.

Laut IGeL-Monitor schaden zusätzliche Ultraschalluntersuchungen Mutter und Kind zwar nicht, nützen ihnen aber auch nicht, kosten aber zwischen 20 und 300 Euro. Mehr als die drei Routine-Ultraschalluntersuchungen seien medizinisch nicht nötig. Die Bewertung durch Experten ergab, dass weder die Säuglingssterblichkeit niedriger ist noch Fehlbildungen, Wachstumsstörungen oder Geburtsrisiken früher erkannt werden.

Nur drei von 41 Leistungen waren »tendenziell positiv«

Im IGeL-Monitor des Medizinischen Dienstes sind inzwischen 41 der zusätzlichen Angebote untersucht worden. Danach werden nur drei Extraleistungen als »tendenziell positiv« bewertet, darunter Akupunktur zur Vorbeugung von Migräne, Lichttherapie bei depressiven Störungen und Stoßwellentherapie bei Fersenschmerz.

Keine neuen Studien gebe es zur häufig angebotenen Messung des Augeninnendrucks zur Früherkennung des grünen Stars. Es bleibe bei der tendenziell negativen Bewertung. Denn die Messung habe nur eingeschränkte Aussagekraft. Patienten könnten verunsichert werden.

Zu den häufigsten Risiken zählen laut den Kassen Fehlalarme bei Ultraschall der Eierstöcke und der Brust zur Krebsfrüherkennung. Die Gefahr sei, dass kleine Tumoren unnötig operiert werden. Keine oder nur geringe Hinweise auf einen Nutzen gebe es beim PSA-Test zur Früherkennung von Prostatakrebs sowie bei professioneller Zahnreinigung.

Jeder dritte Patient ohne schriftliche Vereinbarung

Die meisten Selbstzahlerleistungen bringen den Patienten den Angaben zufolge nichts. Bei 17 Untersuchungs- und Behandlungsmethoden bewerten die Experten den Schaden sogar größer als den Nutzen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung erklärte, im Einzelfall könnten die Extraleistungen durchaus medizinisch sinnvoll sein. Die Patienten müssten aber gut informiert werden und ausreichend Zeit haben, um über das Angebot entscheiden zu können.

Die Praxis zeigt allerdings: Jeder dritte Patient hat laut MDS-Angaben hingegen nicht einmal eine schriftliche Vereinbarung über seine Zusatzbehandlung, obwohl die Ärzte dazu verpflichtet sind.

Die Zahnärzte wehrten sich dagegen, dass auch die professionelle Zahnreinigung vom MDS unter die IGeL-Leistungen gezählt wird. Sie diene der Vorbeugung von Parodontitis und Karies und werde von einigen Kassen im Rahmen freiwilliger Leistungen deshalb auch übernommen, erklärten unisono die Bundeszahnärztekammer und die Kassenzahnärztliche Bundesvereinigung. dpa/nd

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