nd-aktuell.de / 11.08.2016 / Gesund leben / Seite 10

Gut für Knochen, Muskeln und Kraft

Kuhmilch muss trotz nützlicher Inhaltsstoffe gegen Vorurteile ankämpfen. Viele davon sind nicht gerechtfertigt

Walter Schmidt

Erstmals vor etwa sechzig Jahren hieß es, Milch mache »müde Männer munter« - ein Slogan der deutschen Milchwirtschaft, der zum geflügelten Wort geworden ist. »Dieser Werbespruch war wissenschaftlich noch nie haltbar, außer dass Milch Energie liefert, aber das gilt für ein Brot oder einen Apfel auch«, sagt Bernhard Watzl, Leiter des Instituts für Physiologie und Biochemie der Ernährung beim Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel (Max-Rubner-Institut) in Karlsruhe. »Der Slogan sollte bei den Menschen gut ankommen - und das ist er, sonst würden wir nicht heute noch darüber sprechen.« Später wurde das flüssige Lebensmittel mit Aussagen wie »Die Milch macht´s« oder »Milch ist meine Stärke« beworben.

Man muss solche Sprüche nicht toll finden, aber es ist auch nicht ganz einfach, für ein seit etwa 7000 Jahren mehr oder minder gebräuchliches Erzeugnis Reklame zu machen, das vielen Menschen als Allerweltsprodukt gilt. Und für etwas, das so gewöhnlich erscheint, mag man eben auch nicht gerne viel Geld ausgeben - wobei das nicht der einzige Grund für die aktuell sehr niedrigen Milchpreise ist, unter denen vor allem kleinere Milchviehbetriebe so arg leiden, dass allein von Mai 2015 bis Mai 2016 fast jeder zwanzigste von ihnen (4,6 Prozent) aufgegeben hat. Milchbauern erhalten derzeit nur wenig mehr als 20 Cent für den Liter, bräuchten zum Überleben aber das Doppelte. Discounter verschleudern Milch für weniger als einen halben Euro, während Milchersatz-Getränke aus Hafer, Reis, Soja oder auch Kokosnüssen und Mandeln deutlich teurer verkauft werden können, vor allem im Bio-Handel.

Das würde man sofort verstehen, wenn solche Getränke mehr wertvolle Nährstoffe enthielten oder gar gesünder wären als die Milch von Kühen. Oder auch gesünder als Schaf- und Ziegenmilch - zwei Nischenprodukte, die mengenmäßig gegenüber Kuhmilch kaum ins Gewicht fallen und meist ohnehin zu Käse und Joghurt verarbeitet werden. Doch mit Ausnahme der traditionsreichen Sojamilch seien die Drinks aus Hafer und anderen Getreide-Arten »nicht gesund«, urteilt Bernhard Watzl. Bei ihnen müsse »viel imitiert werden, was die Milch von Natur aus mitbringt«, zum Beispiel Geschmack und Farbe. Und Calcium, das in der Milch in hohem Maße enthalten ist, wiesen »solche Kunstprodukte« erst recht nicht auf, weswegen es oft ebenfalls hinzugefügt werde, merkt Watzl an. »Wer sich naturnah ernähren und auf Lebensmittelzusätze verzichten möchte, sollte eigentlich nicht zu Kunstprodukten greifen, die stark verarbeitet und mit Zusätzen angereichert sind«, sondern lieber zu Milch. Es sei denn, man wolle nur vegane Produkte konsumieren, »auch wenn das eine reine Kulturfrage ist, keine Frage der Gesundheit oder Ernährungsphysiologie«. Es gebe »keine ernährungswissenschaftliche Begründung« für eine vegane Ernährung. »Der Mensch war ja nie Veganer«, fügt der Professor für Ernährungswissenschaft hinzu.

Für Kuhmilch hingegen spreche sehr viel. »Alle Ernährungsgesellschaften in westlichen Industrieländern, in denen Milch eine lange Tradition hat, stufen sie als gesund ein und empfehlen sie als Lebensmittel«, betont Watzl. »Milch hat viele Inhaltsstoffe, die für Kinder und Erwachsene wichtig sind, da gibt es unter Fachleuten keine Debatten.« Allerdings ist Milch kein Durstlöscher, sondern ein hochwertiges und energiereiches Lebensmittel.

Auch Isabelle Keller von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) verweist auf die wertvollen Bestandteile von Milch und Milchprodukten. »Sie sind in erster Linie wichtige Lieferanten von Calcium, das für den Knochenaufbau sehr bedeutsam ist, aber auch von B-Vitaminen sowie von Vitamin A, Vitamin D und von Jod.« Milch und Milchprodukte seien zudem leicht verdauliche und schnelle Energielieferanten. »Sie enthalten hochwertiges Protein, das vor allem bei fleischloser Kost für den Muskelaufbau und -erhalt unverzichtbar ist.«

Der zweite Vorteil ist Keller zufolge die große Bandbreite von Milch und Erzeugnissen daraus. »Um Calcium zu bekommen, muss man nicht nur Milch trinken, sondern kann auch zurückgreifen auf Joghurt, Buttermilch und Sauermilchprodukte wie Kefir, außerdem auf Käse, der allerdings auch ein großer Fettlieferant ist«, merkt die Ernährungsfachfrau an. »Man hat eine riesengroße Möglichkeit, das alles in den Speiseplan einzubauen und die Produkte in der Küche zuzubereiten - ich denke da zum Beispiel im Sommer an den Erdbeerquark als Zwischenmahlzeit. Es wird also nicht langweilig.«

Leider sind viele falsche oder verzerrte Informationen über angeblich ungünstige oder krankmachende Folgen des Milchkonsums im Umlauf. Die Aussage zum Beispiel, Milch mache dick, ist Watzl zufolge »absolut unsinnig«. Entscheidend sei die Menge an Energie, die man dem Körper über die Nahrung zuführe. »Man kann auch mit den gesündesten Lebensmitteln zunehmen, wenn man zu viel davon isst und sich nicht ausreichend bewegt.« Außerdem gibt es Hinweise aus Studien, dass Milch dazu beitragen kann, Übergewicht zu verhindern oder zu erschweren.

Falsch sei auch die Ansicht, Milchkonsum im Alter führe vermehrt zu Knochenbrüchen und Hüftfrakturen. Erwiesen ist, dass Milch wegen ihres hohen Calcium-Gehalts die Knochendichte und die Knochenmasse erhöht, was vor allem in den ersten 30 Lebensjahren wichtig ist. Dies beugt nämlich, bei zusätzlich ausreichender Bewegung, dem Knochenschwund (Osteoporose) im höheren Alter vor, auch wenn dieses Leiden diverse Ursachen haben kann.

Uneinheitlich ist das Bild beim Thema Krebs. Nach heutigen Erkenntnissen senken Männer wie Frauen durch einen üblichen, moderaten Verzehr von Milch und Milcherzeugnissen (das sind aktuell in Deutschland knapp 200 Gramm pro Kopf und Tag) das Risiko, an Dickdarmkrebs zu erkranken - ebenso die Wahrscheinlichkeit, Bluthochdruck oder Diabetes mellitus vom Typ 2 zu entwickeln. Männer jedoch, die unübliche 1,2 Liter Milch oder mehr pro Tag trinken oder mehr als 140 Gramm Hartkäse täglich verspeisen, erkranken öfter an bösartigen Prostata-Tumoren. Diese und weitere Zusammenhänge hat das Max-Rubner-Institut in einem Ende 2014 erschienenen Bericht mit dem Titel »Ernährungsphysiologische Bewertung von Milch und Milchprodukten und ihren Inhaltsstoffen« ausführlich dargelegt.

Selbstverständlich sollte bei einer nachgewiesen Kuhmilch-Allergie auf die Milch von Kühen, in der Regel aber auch auf die recht ähnliche von Schafen und Ziegen verzichtet werden. In Europa reagiert etwa jedes zwanzigste Kind (2 bis 7 Prozent) auf die Milch von Kühen allergisch. Diese Allergie darf jedoch nicht mit der Unverträglichkeit (Intoleranz) für Milchzucker, den Zweifachzucker Laktose, verwechselt werden.