nd-aktuell.de / 20.08.2016 / Kultur / Seite 9

Kurt Pätzold ist tot

Faschismusforschung

Sein letzter Text im »nd« liegt nur wenige Monate zurück: Es war ein Rückblick auf den Beginn des »Krieges ohne Beispiel« und auf den deutschen Überfall auf die Sowjetunion 1941. Wenn man so will: das Lebensthema des Historikers Kurt Pätzold. Die Zahl seiner Publikationen über den Faschismus ist schier unüberschaubar. 1975 kam seine »Studie zur politischen Strategie und Taktik des faschistischen deutschen Imperialismus« heraus. Bald darauf erschien »Hakenkreuz und Totenkopf«, der Anfang einer fruchtbaren Kooperation mit dem Kollegen Manfred Weißbecker. Vor allem seine wissenschaftlichen Arbeiten über den Holocaust waren prägend in der DDR. Bis zuletzt war er publizistisch tätig. Erst vor wenigen Monaten erschien sein jüngstes Buch: »Der Überfall. Der 22. Juni 1941«. Es wird nun wohl das letzte bleiben. Kurt Pätzold ist am Donnerstag im Alter von 86 Jahren in Berlin gestorben.

Geboren 1930 in Wrocław, studierte er nach dem großen Weltenbrand in Jena Geschichte, Philosophie und politische Ökonomie. Eine Denktrias, die sein späteres Werk prägte. Als die Nachrichtenagentur am Freitag seinen Tod vermeldete, wurde er als »prominenter Vertreter der marxistischen Forschung« ausgewiesen. Er hätte es sicher als Anerkennung verstanden, gemeint war es als Etikett. 1963 wurde Pätzold mit einer Arbeit über den Zeiss-Konzern in der Wirtschaftskrise promoviert, nach der Habilitation an der Berliner Humboldt-Universität hatte er dort bis Ende 1990 den Lehrstuhl für deutsche Geschichte inne. Seiner Entlassung 1992 ging der Vorwurf voraus, Pätzold sei an politisch motivierten Relegationen von Studenten beteiligt gewesen.

Mancher hat das als Urteil über eine Tradition der Geschichtswissenschaft betrachtet, mancher als Absage an ein Lebenswerk. Als er 70 wurde, gab der Philosoph Michael Brie nicht nur dem Jubilar einen Satz mit auf den Weg: »Jeder von uns, der in der DDR lehrte, muss sich selbst fragen und auch fragen lassen, wie er in dem Spannungsfeld von Politik, Ideologie und Wissenschaft gewirkt hat.« Brie formulierte aber auch noch einen anderen: »Historiker gibt es viele; Historiker wie Kurt Pätzold nur wenige.« tos