nd-aktuell.de / 22.08.2016 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 9

Zeit zur Klimarettung wird knapp

Genügend Länder haben Ratifikation bis Jahresende angekündigt

Christian Mihatsch, Chiang Mai

Auch 2016 wird wohl wieder ein Rekordjahr wie schon 2014 und 2015. Noch nie wurden höhere Durchschnittstemperaturen gemessen. Bislang liegt die globale Durchschnittstemperatur 1,21 Grad über dem Mittel der Jahre 1850 bis 1900, als die industrielle Revolution begann. Damit fehlen nur noch wenige Zehntelgrad bis zur Erreichung der Zwei-Grad-Schwelle, ab der sich die Klimaerwärmung selbst verstärkt, etwa indem Permafrostböden auftauen und das Klimagas Methan freigeben. Der US-Klimaforscher und -aktivist Bill McKibben vergleicht den Klimawandel daher mit einem Weltkrieg: »Die Frage ist nicht: Ist es ein Weltkrieg? Die Frage ist: Werden wir dagegen ankämpfen? Und wenn wir es tun, können wir einen Feind schlagen, der so mächtig und unerbittlich ist wie die Gesetze der Physik?«

2015 haben sich die Länder der Welt zumindest darauf verständigt, gegen den Klimawandel anzukämpfen. Im Paris-Abkommen haben die Länder die alte Unterscheidung zwischen Industriestaaten und Entwicklungsländern überwunden und vereinbart, gemeinsam gegen die Klimaerwärmung vorzugehen. Dabei scheint ihnen die Dringlichkeit bewusst: Als das Abkommen zur Unterzeichnung aufgelegt wurde, unterschrieben 175 von 196 Ländern am ersten Tag - Weltrekord. »Es ist klar, dass die Entscheider sich die Dringlichkeit der Klimagefahr zu Herzen nehmen. Dies ist ein sehr gutes Zeichen«, sagte die französische Umweltministerin Ségolène Royal.

Nun könnte das Abkommen einen weiteren Rekord brechen: den für das schnellste Inkrafttreten nach Abschluss der Verhandlungen. Das Paris-Abkommen tritt in Kraft, wenn 55 Länder, die 55 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen ausmachen, es ratifiziert haben. Zurzeit haben dies 22 Länder getan, die aber nur 1,09 Prozent der Emissionen ausstoßen. Doch 35 weitere Länder haben angekündigt, das Abkommen noch dieses Jahr zu ratifizieren. Dazu gehören China und die USA, die gemeinsam für knapp 40 Prozent der Emissionen verantwortlich sind. Wenn alle diese Länder ihre Ankündigung umsetzen, hätten bis Jahresende 57 Länder, die 59,88 Prozent der Emissionen ausmachen, den Vertrag ratifiziert, rechnete das Berliner Forschungsinstitut Climate Analytics aus. Für die neue Chefin der UN-Klimakonvention, Patricia Espinosa, zeigt dies: »Es gibt eine enorme Begeisterung mitzumachen und Teil dieses Transformationsprozesses zu sein.«

Sollte das Abkommen tatsächlich 2016 in Kraft treten, wäre die EU zumindest anfangs kein »Teil des Prozesses«. Damit sie den Vertrag ratifizieren kann, müssen ihm das Europaparlament und die Parlamente aller 28 Mitglieder zustimmen. Bislang haben dies nur Ungarn und Frankreich getan und es gilt als unwahrscheinlich, dass alle EU-Länder das Abkommen noch dieses Jahr ratifizieren. Tritt es ohne die EU in Kraft, hätte diese bei weiteren Beratungen nur Beobachterstatus.

Den Kampf gegen den Klimawandel kann die EU aber an zwei weiteren Fronten vorantreiben: Dieses Jahr soll mit Hilfe des Montreal-Abkommens zum Schutz der Ozonschicht die Produktion der klimaschädlichen Kohlenwasserstoffe reduziert werden. Außerdem verhandeln die Mitgliedsländer der Internationalen Organisation für Ziviluftfahrt (ICAO) derzeit über ein Abkommen, das den weiteren Anstieg der Emissionen aus dem Flugwesen verhindern soll.