nd-aktuell.de / 24.08.2016 / Brandenburg

Von der Berufung zum Beruf

Hilfsinitiativen wünschen sich mehr qualifizierte Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe

Johanna Treblin

Jonas schneidet Kartoffeln. Mit dem Verkauf des veganen Gyros zahlt er die Miete für Zimmer und Wohnungen für Geflüchtete. Jeremias bringt Interessierten didaktische Methoden bei, die Flüchtlingen in den Temppelhofer Hangars Deutschunterricht geben. Patrick nimmt eine syrische Familie, die in einer Turnhalle lebt, mit zu sich nach Hause, damit sie ein paar Nächte lang mal in Ruhe schlafen kann. Hanna verteilt in einer Ausgabestelle der Initiative »Moabit hilft« Shampoo, Windeln und Einwegrasierer. Claudia schreibt Mails an Journalisten, um sie auf den Rauswurf einer Geflüchteten aus einem Heim aufmerksam zu machen.

Für die vielen Ehrenamtlichen, die sich in der Flüchtlingshilfe engagieren, hat Klaus Lederer, Spitzenkandidat der Linkspartei, nun eine berufliche Perspektive vorgeschlagen: den Quereinstieg in den Öffentlichen Dienst. Damit will er zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: zum einen die monatelange unentgeltliche Arbeit nachträglich honorieren, zum anderen die Personalnot in der Verwaltung stillen.

Bei Hilfsorganisationen stößt die Idee auf ein geteiltes Echo. Der Tenor: Jobs sind immer gut, die Expertise von Ehrenamtlichen zu nutzen, die sich schon länger in der Flüchtlingsarbeit engagieren, auch. Das A und O ist aber die Qualifizierung.

»Es ist gut, das Wissen von Ehrenamtlichen zu nutzen«, sagt Marie Scharfenberg von »Kreuzberg hilft«. Die meisten der rund 100 mehr oder weniger Aktiven der Unterstützerinitiative seien allerdings gar nicht auf der Suche nach einer Arbeit. »Es gibt schon einige, die gemerkt haben, dass ihnen die Arbeit mit Geflüchteten liegt und die den Job gewechselt haben.« Viele würden ihr Ehrenamt aber gar nicht zum Beruf machen wollen.

Das sieht Stephan Jung von »Hellersdorf hilft« ähnlich. »Viele wollen nicht beruflich Flüchtlingsarbeit machen. Das ist eine zu hohe psychische Belastung.« Die wiederum könne die Qualität der Arbeit der Helfer beeinträchtigen und sich letztlich auch negativ auf die Geflüchteten auswirken. Trotzdem findet er die Idee richtig. »Häufig kommen Leute an den Job, die nicht die notwendige Qualifikation haben.« Ehrenamtler hingegen hätten Erfahrungen in dem Bereich und brächten die notwendige Sozialkompetenz mit. Wenn nun über eine Qualifizierung für verwaltungstechnische Berufe nachgedacht werde, sollte man die soziale Kompetenz nicht vergessen. Jung hält eine Kooperation mit Universitäten für sinnvoll, die beispielsweise Studiengänge wie »Soziale Arbeit« anbieten.

»Viele unserer Ehrenamtler sind in ein Hauptamt gewechselt«, erzählt Amei von Hülsen-Poensgen von »Willkommen im Westend«. Manche fanden Jobs in Flüchtlingsunterkünften als Sozialbetreuer. Eine Psychologin habe zunächst ehrenamtlich Geflüchtete betreut, später bei einem Träger eine Anstellung im gleichen Bereich gefunden. »Der öffentliche Dienst sollte keine Ausnahme sein.« Auch von Hülsen-Poensgen hat den Eindruck, dass bisher Vorerfahrung nicht entscheidendes Einstellungskriterium gewesen sei.

Unabhängig von Haupt- oder Ehrenamt hält Fabio Reinhardt, flüchtlingspolitischer Sprecher der Piratenfraktion, die psychosoziale Betreuung der Aktiven für notwendig. Freiwillige müssten zudem qualifiziert und zertifiziert werden und am Ende »mit einem Schein rausgehen« können. Auch wenn das nicht vorrangiges Ziel der Aktiven ist. »Die Leute fangen kein Ehrenamt an, weil sie in dem Bereich Karriere machen wollen«, sagt Holger Michel, Ehrenamtskoordinator der Notunterkunft im Rathaus Wilmersdorf. Die Initiative findet er trotzdem richtig. Aber: »Das Angebot muss man ausweiten auf andere Ehrenamtler. Menschen, die sich zum Beispiel für Obdachlose engagieren, müssen die gleiche Chance erhalten.«