nd-aktuell.de / 24.08.2016 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 17

Umweltschützer sehen Mehrweg in Gefahr

Bundesumweltministerin will Quote für wiederverwendbare Getränkeverpackungen abschaffen

Simon Poelchau

Clemens Stroetmann erinnert sich: »Wir wollten kein unverbindliches ›Schauen wir mal‹, wir wollten ein verpflichtendes Handeln«, erzählt der ehemalige Bundesumweltstaatssekretär. Vor ziemlich genau 25 Jahren, im Sommer 1991, schuf nämlich sein damaliger Chef, Bundesumweltminister Klaus Töpfer (CDU), mit der »Verordnung über die Vermeidung und Verwertung von Verpackungsabfällen« die Grundlagen des Mehrweg-Pfandsystems, wie man es heutzutage in Deutschland kennt.

Was Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) vorhat, hält Stroetmann für einen »Rückschritt« und »umweltpolitisch nicht akzeptabel«. Im derzeit kursierenden Entwurf für ein Verpackungsgesetz will die SPD-Frau nämlich die sogenannte Mehrwegschutzquote abschaffen. Diese gibt an, wie hoch der Anteil von wiederverwendbaren Mehrwegverpackungen bei Getränken sein soll. Wird dieser unterschritten, drohen der Industrie - zumindest theoretisch - Konsequenzen.

Es gab jedoch schon einmal eine Umweltministerin, die lieber an der Quote drehte, als Konsequenzen zu vollstrecken. Sie hieß Angela Merkel und ist jetzt Bundeskanzlerin. Während Töpfer 1991 eine bundesweit gültige Quote von 72 Prozent einführte, differenzierte Merkel (CDU) sie in den Jahren 1996 und 1998 je nach Getränk und Bundesland. Ihr Nachfolger Jürgen Trittin (Grüne) wollte, dass der Anteil der Mehrwegverpackungen bei Getränken wieder über 80 Prozent steigt und führte deswegen die Pfandpflicht ein. Kein Wunder also, dass Hendricks für den Grünen-Politiker »die Merkel« macht: »Weil die Handelskonzerne und großen Abfüller sich nicht ans Gesetz halten, wird einfach das Gesetz geändert«, sagte Trittin am Dienstag in den Räumen der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in Berlin. Gemeinsam wollen Trittin, Stroetmann und die DUH-Umweltschützer das Mehrwegsystem verteidigen.

Schließlich liegt Deutschland mit 213 Kilo Verpackungsabfällen pro Kopf und Jahr rund 20 Prozent über dem europäischen Durchschnitt. Die Verwendung von Einwegplastikflaschen trägt mit einem jährlichen Verbrauch von 500 000 Tonnen Kunststoff ordentlich zu diesem Trend bei. Dies ist auch der wichtigste Grund, warum es für das Mehrwegsystem seit jeher so viel Rückhalt in der Bevölkerung gab. »Die Menschen waren es leid, dass jährlich zwei bis drei Milliarden Getränkedosen und Flaschen in der Landschaft herumlagen«, erinnert sich DUH-Chef Jürgen Resch.

Auch helfen Mehrwegflaschen im Kampf gegen den Klimawandel. Pro Liter Mineralwasser in Mehrweg-Glasflaschen werden 55 Gramm an Kohlendioxid-Emissionen eingespart. Würden in Deutschland alle alkoholfreien Getränke in Mehrwegverpackungen abgefüllt, dann würden im Vergleich zur Abfüllung in Einwegverpackungen jährlich 1,26 Millionen Tonnen CO2-Emissionen eingespart.

Stroetmann, Resch und Trittin sprechen sich deswegen für eine verbindliche Quote von 80 Prozent aus. Zudem soll besser gekennzeichnet werden, was Einweg- und was Mehrweg ist. Denn auch Einwegflaschen sind im Pfandsystem. Zu guter Letzt fordern Trittin und Co. eine Abgabe auf Einweggetränkeverpackungen in Höhe von 20 Cent. »Dadurch erhalten auch Discounter wie Aldi oder Lidl einen Anreiz, Mehrwegflaschen anzubieten und sich so an den gesamtgesellschaftlichen Aufgaben von Abfallvermeidung und Klimaschutz zu beteiligen«, so Stroetmann.

Umweltministerin Hendricks hält indes den Vorstoß ihres Vorgängers für rechtlich problematisch. »Da ist das Prinzip der Verhältnismäßigkeit wohl nicht gewahrt«, meldete sie sich zu Wort. Die Zielquote sei 2005 durch die Pfandpflicht abgelöst worden und habe seitdem »verloren« in der Verordnung gestanden - Pfand sei aber das Mittel der Wahl, versuchte sich die Ministerin zu rechtfertigen.