nd-aktuell.de / 31.08.2016 / Wirtschaft und Umwelt / Seite 2

Weniger arbeiten, weniger konsumieren

Plädoyer für eine Wirtschaft, die nicht mehr wächst

Max Zeising

Eine Reise von Oldenburg nach Budapest? Niko Paech muss nicht lange überlegen. »Mache ich nicht«, sagt er. Nicht etwa, weil er dafür keine Zeit oder kein Geld hätte. »Ich pflege einen klimafreundlichen Lebensstil und möchte deshalb nicht nach Ungarn reisen. Da müsste ich nämlich das Flugzeug nehmen oder eine längere Bahnreise machen.« Der Volkswirt, der seit sechs Jahren eine Gastprofessur an der Universität Oldenburg innehat, ist nicht nur Wissenschaftler, er bezeichnet sich selbst auch als Aktivist. Er könne es jedenfalls nicht verantworten, »so viel CO2 zu verbrauchen«.

Es sind Sätze, die viel sagen über den Mann, der vor 56 Jahren in der Ortschaft Schüttdorf in Niedersachsen geboren wurde, Volkswirtschaft studierte, als Unternehmensberater arbeitete und auch einmal für den niedersächsischen Landtag kandidierte. Für die Grünen, selbstverständlich. Paech ist einer, dem Nachhaltigkeit wichtig ist. Dafür kämpft er heute noch, auch wenn er sich längst aus der Parteipolitik verabschiedet hat. Bereits vor zehn Jahren prägte er eine Idee, mit der er gerade junge, kritisch denkende Menschen begeisterte: die Idee einer Postwachstumsökonomie.

Am Dienstag hat die internationale Degrowth-Konferenz in Budapest begonnen, auf der bis Sonnabend Anhänger des Postwachstums diskutieren. Ohne Paech. Doch in Gedanken ist der Ökonom natürlich dabei. »Ich wünsche mir, dass diese Konferenz politische Spuren hinterlässt«, sagt er. Die Konferenz vor zwei Jahren in Leipzig sei ein Erfolg gewesen. Damals kamen 3000 Aktivisten - deutlich mehr als zur ersten Konferenz vor acht Jahren in Paris, als es nur einige Hundert Teilnehmer waren.

Doch was genau steckt hinter dem Begriff Degrowth? Damit gemeint ist das Konzept einer Wirtschaft, die nicht mehr wächst, sondern schrumpft - was sich auch im Alltag der Menschen bemerkbar machen soll. »In einer schrumpfenden Wirtschaft brauchen wir weniger Arbeitszeit. Die Menschen gehen dann nur noch 15 oder 20 Stunden in der Woche arbeiten«, sagt Paech. Die dadurch frei gewordene Zeit soll genutzt werden, »um eine Subsistenzwirtschaft aufzubauen, das heißt, für sich selbst zu sorgen, Lebensmittel zu produzieren«.

Nicht nur die Arbeitszeit soll gesenkt werden, sondern auch der Konsum. Die Menschen sollen sich einschränken. Wie Paech, der dann eben auf eine Reise in die ungarische Hauptstadt verzichtet. Der entscheidende Punkt ist: Die industrielle Produktion soll zurückgefahren werden, die Menschen sollen wieder selbst Lebensmittel herstellen. Denn: »Wir leben innerhalb Europas, in der modernen Konsumdemokratie, ökologisch über unsere Verhältnisse«, sagt Paech und meint, dass dieser Missstand nur durch eine bescheidenere Lebensweise zu beheben sei.

Doch an genau diesem Punkt fangen die Probleme an: Wie können Menschen von der Idee »Weniger ist mehr« überzeugt werden - insbesondere Männer und Frauen, die bereits heute im Kapitalismus nur wenig abbekommen? »Natürlich muss die zu erbringende Reduktionsleistung gerecht verteilt werden. Das heißt: Diejenigen, die das meiste CO2 verbrauchen, müssen die höchste Reduktionsleistung erbringen«, entgegnet Paech. Schließlich könne man von Arbeitslosen, die große Mühe haben, ihre Grundbedürfnisse zu befriedigen, »nicht erwarten, dass sie sich noch stärker einschränken«.

Die steigende Teilnehmerzahl auf den Degrowth-Konferenzen zeigt, dass es viele Menschen gibt, die von Paechs Idee überzeugt sind. Es sind Aktivisten, die nicht über »das System« oder »den Staat« schimpfen, sondern die durch eine klimafreundlichere Lebensweise den Kohlendioxid-Ausstoß senken wollen. Die weniger reisen und kaufen und mehr selbst produzieren wollen. Zum Beispiel in kleinen Nachbarschaftsgärten in den Städten.

Paechs Konzept einer schrumpfenden Wirtschaft kann auch ein Problem nach sich ziehen: Weniger Globalisierung kann geringeres Maß an Interkulturalität bedeuten. Der Ökonom selbst bezeichnet »kulturellen Austausch« als »puren Hedonismus« und fügt an: »Wir brauchen einen maßvolleren Austausch, der andere Kulturen vor allem in Frieden lässt. In der heutigen Zeit besteht doch gerade die Gefahr, dass sich Kulturen ganz abschaffen und zu einer homogenen Masse verschmelzen.«

Dass sich eine Kultur abschafft, hat auch der ehemalige SPD-Politiker Thilo Sarrazin einmal gesagt. Paech sagt, dass »die Menschen nicht in einem Land leben wollen, das man nicht mehr wiedererkennt«. Er wolle beileibe »nicht das Asylrecht abschaffen«, betont er. Dennoch stellt sich bei alldem die Frage, wie fortschrittlich die Degrowth-Bewegung tatsächlich ist.