Vorerst bleibt Hex verhext

Zwei Hex(en)meister hinterließen viel Spaß und ein Problem: Ein Zauberlehrling nähert sich. Von René Gralla

  • René Gralla
  • Lesedauer: 5 Min.

Dass ein Mathefreak mit dem, was er tagtäglich austüftelt, auch Nichtfachleute unterhalten kann, das passiert nicht allzu häufig. Doch genau so eine Ausnahmeerscheinung war der 1905 in Kopenhagen geborene Piet Hein. Der Däne entwarf nebenher nicht nur gemütliche Ellipsen, die fortan Stadtplaner und Möbeldesigner inspirieren sollten. Er kreierte obendrein 1942 ein strategisches Spiel, das im südskandinavischen Königreich unter dem Namen »Polygon« rasch ein Bestseller wurde.

Nebenbei publizierte das Multitalent bis zu seinem Tod 1996 auch noch 7000 muntere Kurzgedichte, die er launig »Gruks« taufte und in denen er über kleine Katzen und Wechselfälle des Lebens sinnierte. Und als ob die Geschichte nicht bereits verrückt genug gewesen wäre: Die von Piet Hein ersonnene schlaue Knobelei am Brett ist dann 1947 gleich ein zweites Mal erfunden worden. Und zwar in den Vereinigten Staaten vom Mathematiker John Forbes Nash jr., der in Princeton lehrte und lange keinen blassen Schimmer davon hatte, bloß ein hoffnungsloser Nachzügler zu sein.

Das Spiel vermarktet der US-Branchenriese Parker Brothers seit 1952 unter dem griffigen Label »Hex«. Es scheint nachgerade logisch, dass das Produkt der beiden Hex(en)meister Hein und Nash nicht nur die Spielerwelt faszinierte. Es weckte alsbald auch die Neugier und den Ehrgeiz anderer Wissenschaftskollegen. Die nämlich bis heute mit akribischen Analysen, zunehmend rechnergestützt, versuchen, besagtes Spiel zu entschlüsseln. Die Kernfrage lautet: Gibt es einen zwingenden mathematischen Weg zum Partieziel, zwischen den jeweils einander gegenüberliegenden Seiten des Spielbrettes eine Verbindung hinzukriegen, indem auf den Feldern eine lückenlose Steinekette platziert wird? Verbunden natürlich mit der Unterfrage, ob demnächst - wie bei Schach schon länger, bei Go seit kurzem - Computer den Menschen dauerhaft schlagen.

Einer, der Hex seit 15 Jahren digital aufbereitet, ist der kanadische Informatikprofessor Ryan Hayward. Sein Programm MoHex, das er im Team an der Universität Alberta entwickelt hat, gewann vor wenigen Wochen zum siebten Mal Gold bei der Olympiade für Computerspiele im niederländischen Leiden. Und dennoch sieht der Mann, der aus dem westkanadischen Vancouver stammt, dies als reine Zwischenstation an. Auf dem Weg zum finalen Ziel nämlich, das er im nd-Gespräch ohne falsche Bescheidenheit formuliert: »Ein Programm, das keinem menschlichen Gegner eine Siegchance gibt.«

So die krasse Ansage an die weltweite Hex-Gemeinde. Diese Community trifft sich zu Wettkämpfen gewöhnlich im Stil der Old School mit echten Steinen zum Anfassen. Die Liste der Turnierorte reicht vom brasilianischen Catalão über Leipzig bis nach Oslo. Gleichzeitig wird Hex online auf Servern wie Boardgamearena gezockt. Bleibt trotzdem, elitärer Hintergrund des Ganzen hin oder her, die Frage: Warum verbeißt sich ein ausgewiesener Experte für künstliche Intelligenz in ein Spiel, das ziemlich simpel angelegt ist: Als erster quer über das Brett die Straße zu bauen?

Ja doch, die Regeln seien »wirklich schlicht«, räumt Ryan Hayward ein. Aber genau das mache Hex zum idealen Forschungsgegenstand: »Einem angehenden Informatiker kann ich in fünf Minuten beibringen, ein Programm für Hex zu schreiben.« Allerdings dürfe das nicht zum voreiligen Schluss verleiten, das Spiel sei im Vergleich zu Schach oder Go leichter zu beherrschen. Vielmehr seien die kombinatorischen, vor allem strategischen Probleme, die die Spieler knacken müssten, ähnlich komplex. Auch deswegen finde er Hex »absolut faszinierend«.

Gelernt hat er das Spiel während eines Paris-Aufenthalts Mitte der 80-er Jahre vom französischen Mathematiker Claude Berger. Heute setzt sich Ryan Hayward eher selten ans reale Brett; lieber bosselt er an seinem Programm MoHex. Obwohl, wie gesagt, sein MoHex derzeit andere Programme klar deklassiert. Und obwohl - wieder dank Hayward und seinen Mitspielerinnen - etliche Hex-Tücken inzwischen aufgespürt sind. Zumindest für 8 x 8- und 9 x 9-Bretter sind alle denkbaren Eröffnungen analysiert. »Doch der Job ist längst nicht erledigt«, sagt Ryan Hayward. Bis zu 19 x 19 reiche der Brettstandard, doch schon weit darunter gebe es systembedingte Grenzen.

Folgerichtig wird Hayward auch künftig an MoHex frickeln. »Schließlich hören Sie doch nicht auf, das Design von Autos zu verbessern, nur weil das gegebene Fahrzeug schon ziemlich gut ist.« Die stärksten menschlichen Hex-Spieler könnten MoHex auf dem 13 x 13-Brett zumindest noch standhalten, seien ihm aber beim 19 x 19-Szenario unterlegen. »Die zu lösenden Programmprobleme werden nicht kleiner.«

Ein möglicher Schlüssel liege wohl im Spiel-Paralleluniversum des Go verborgen, meint Ryan Hayward. Unlängst schlug der Rechner AlphaGo den südkoreanischen Go-Spitzenprofi Lee Sedol (nd-Spielplatz, 12./13. März 2016). Eine Sensation für alle Spiele-Mathematiker rund um den Erdball. Der besondere Kick, den die Verantwortlichen von Google Deep Mind ihrem AlphaGo-Gehirn mitgegeben haben, steckt im Algorithmus verborgen, der »Monte Carlo Tree Search« heißt. Der Clou des kryptisch klingenden Suchbaums: Der Computer prüft einerseits vielversprechende Züge und checkt andererseits Alternativen nach dem Zufallsprinzip ab. Aus dem Datenmaterial extrahiert die Maschine ständig sich verfeinernde Prognosen für den Matchverlauf.

Hex hat Verwandtschaft zu Go; das demonstriert schon die Optik sich formierender Stellungen, die ineinander verhakelte Ketten bilden. Ryan Hayward ist nun dabei, die offenkundig höchst effektive Monte-Carlo-Methode für MoHex zu übernehmen. Der Taiwanese Aja Huang, einer der maßgeblichen Köpfe hinter dem Projekt AlphaGo, wirkte, wie Hayward verrät, auch schon in der MoHex-Truppe kurzfristig mit.

Der Tag dürfte demnach nicht mehr fern sein, an dem Hex keine Hexerei mehr ist. Angesichts solch ernüchternder Perspektiven müssen sich Fans indes nicht voreiliger Melancholie hingeben. Fünf Jahre werde das wohl allemal dauern, prognostiziert Ryan Hayward.

Vorerst bleibt Hex verhext, und der Rat, den Hex-Vater, Piet Hein, gab, sollte fröhlich beherzigt werden: »Einer, der niemals / lebt im Jetzt / der lebt nie / - und was machst du?«

MoHex online spielen: https://de.boardgamearena.com/!gamepanel? game=hex

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