nd-aktuell.de / 06.09.2016 / Politik

Digitale Selbstvermessung

Smarte Worte IV: Immer mehr Daten werden über den eigenen Körper erhoben, um sie auszuwerten und für die Selbstoptimierung zu nutzen

Das Grundprinzip der digitalen Selbstvermessung besteht darin, Daten über den eigenen Körper zu erheben, um sie auszuwerten und schließlich für die Selbstoptimierung zu nutzen. Dabei können einzelne Körper- und Gesundheitsdaten mithilfe einer Smartphone-App oder mittels anderer digitaler Geräte (wie z.B. Fitness-Armband, Smart-Watch usw.) gemessen werden.

Zu den beliebtesten Möglichkeiten des »Self-tracking«, also der Selbstüberwachung und Selbstvermessung gehört das Schritte zählen. Es funktioniert meist über Geräte, die am Körper getragen werden und mit Sensoren ausgestattet Erschütterungen messen können. Diese werden dann mit Hilfe von bestimmten Algorithmen[1] als Schritte interpretiert und entsprechende Apps werten die Informationen aus. UserInnen werden dabei motiviert sich nicht nur selbst zu vermessen, sondern sich auch an bestimmten Zielen oder an Leistungen anderer UserInnen messen zu lassen. Wöchentliche oder tägliche Herausforderungen sollen Anreize liefern, ein bestimmtes Leistungsniveau zu halten oder zu steigern.

Self-tracking ist in diesem Ausmaß zweifelsfrei durch die technische Entwicklung möglich geworden. In einem sozio-kulturellen Kontext jedoch, in dem das Individuum die Hauptverantwortung für das eigene Leben zu tragen hat, wird Selbstkontrolle und Selbstüberwachung zur logischen Schlussfolgerung. Self-tracking steht für die Vorstellung, dass jeder Mensch allein durch Eigeninitiative im Stande ist sein Leben zu verbessern, gesund, schön und erfolgreich zu sein. Was Nina Degele den Autonomieimperativ nennt, verweist auf das mit der Individualität verbundene Ausrufezeichen, was nicht nur befähigt Dinge selbst in die Hand zu nehmen, sondern Autonomie geradezu einfordert.

Wissen über den eigenen Körper und Gesundheit beruht bei der digitalen Selbstvermessung allein auf den aus Daten generierten Informationen und wird in quantitativ genormte Messkategorien gegossen. Dabei wird ein stark eindimensionales Bild von Körper und Gesundheit als quantifizierbare Objekte gezeichnet. Sozio-kulturelle Einflüsse auf Gesundheit oder rechtliche und politische Rahmenbedingungen spielen keine Rolle mehr. Obwohl Self-tracking also individualisierte Gesundheit propagiert, funktioniert die Datenauswertung bei vielen Apps mittels normierender Algorithmen und vergleicht individuelle Gesundheitswerte mit Werten aus aggregierten Datenmengen (siehe Big Data[2]).

Auch das öffentliche Gesundheitssystem versprechen digitale Technologien langfristig verbessern und effizienter gestalten zu können. Vor allem die Vernetzung von digitalisierten PatientInnen-Daten soll die Gesundheitsversorgung profitabler machen, da Informationen für medizinisches Personal überall und ständig verfügbar werden. Dazu machen Selbstüberwachung und die Vermessung eigener Körperdaten UserInnen quasi zu ihren eigenen PatientInnen, bei denen die eigene Gesundheit zu einem neoliberalen Projekt mit unternehmerischem Charakter wird. So gewinnt das Teilen der hoch sensiblen Gesundheitsdaten an Zuspruch, sowohl auf öffentlicher als auch auf privater Ebene.

Bislang werden die Self-tracking Apps und Messgeräte durch unabhängige Stellen in der Regel weder geprüft noch zertifiziert. Dies führt dazu, dass sich die Geräte in Messgenauigkeit und Interpretation der Daten erheblich unterscheiden können. Der meist intransparente oder mangelnde Datenschutz der erhobenen Gesundheitsdaten verweist auf weitere Problematiken bei der digitalen Selbstvermessung und dem Teilen von Gesundheitsdaten. (mk)

Zum Weiterlesen:

Degele, Nina (2008): Normale Exklusivitäten. Schönheitshandeln, Schmerznormalisieren, Körper inszenieren. In: Paula-Irene Villa (Hg.): Schön normal. Manipulationen am Körper als Technologien des Selbst. Bielefeld: Transcript, S. 67–84.
Lupton, Deborah (2014): The commodification of patient opinion: the digital patient experience economy in the age of big data. In: Sociology of Health & Illness 36 (6), S. 856–869.
Lupton, Deborah (2014): Self-tracking Modes: Reflexive Self-Monitoring and Data Practices. Paper for the ‘Imminent Citizenships: Personhood and Identity Politics in the Informatic Age' workshop. University of Canberra, Canberra. News & Media Research Centre, Faculty of Arts & Design.

Links:

  1. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1023918.algorithmen.html
  2. https://www.nd-aktuell.de/artikel/1023262.big-data.html