nd-aktuell.de / 10.09.2016 / Brandenburg / Seite 13

Geheimnisse können töten

Andreas Fritsche 
über Moral
 und den
 Verfassungsschutz

Wenn die Chance auch noch so gering gewesen wäre, die Morde des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) damit zu verhindern: Der brandenburgische Verfassungsschutz hätte keine Sekunde zögern dürfen, seine Erkenntnisse über den Verbleib des abgetauchten Trios Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit der Polizei zu teilen. Auch wenn sein V-Mann »Piatto« dadurch sofort aufgeflogen wäre. So und nicht anders hätte der Verfassungsschutz handeln müssen.

Für moralische Fragen haben sich Geheimdienste allerdings noch nie sonderlich interessiert, allenfalls haben sie sich hin und wieder an rechtliche Vorschriften gehalten. Doch die Rechtslage ist im konkreten Fall unklar. Theoretisch war der brandenburgische Verfassungsschutz wegen des Trennungsgebots von Polizei und Geheimdienst vielleicht nicht einmal berechtigt, seine lebenswichtigen Informationen weiterzugeben. Dies ist eine verblüffende Erkenntnis aus der Sitzung des NSU-Untersuchungsausschusses am Freitag. Freilich gibt es auch andere, gänzlich entgegengesetzte Beurteilungen der Rechtslage, die lebensnaher sind und viel logischer klingen.

Fakt ist: Die Rechtslage ist unübersichtlich, die einschlägigen Gesetze lassen Interpretationsspielraum. Die Landtagsabgeordneten hätten die Möglichkeit, dies zu korrigieren. Das macht die Opfer des NSU aber nicht wieder lebendig, und es schließt nicht einmal aus, dass ähnliche Mordserien wieder vorkommen. Denn die Politik hat keine Garantie dafür, dass die Geheimdienstler im entscheidenden Moment das Richtige tun. Eine zuverlässige Kontrolle wird es niemals geben. Wenn eine kleine, wenn auch durchaus demokratisch legitimierte Parlamentskommission in Geheimnisse eingeweiht wird, so ist dies noch lange nicht die Transparenz, die nötig wäre.

Geheimdienste sind zweifelhafte Organisationen. Ob der Verfassungsschutz besser abgeschafft werden sollte, wie die LINKE findet, oder personell besser ausgestattet gehört, wie die SPD meint? Hoffentlich kann der NSU-Ausschuss diese Frage am Ende seiner Arbeit seriös und fundiert beantworten.