Steuermythos IV: Hohe Steuern schaden der Wirtschaft, Steuersenkungen finanzieren sich selbst

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Der wohl berühmteste Steuermythos lautet: Hohe Steuern schaden der Wirtschaft, sie reduzieren die Leistungsbereitschaft und kosten Wachstum und Arbeitsplätze. Das ist eine neoliberale Plattitüde, die bis heute reflexhaft aus der Wirtschaft oder von wirtschaftsnahen Politikern vorgetragen wird, wenn Unternehmen oder Wohlhabende höhere Steuern zahlen sollen. Die FDP hat sich unter ihrem früheren Vorsitzenden Guido Westerwelle sehr stark auf dieses Thema fokussiert und damit 2009 ein sensationelles Wahlergebnis eingefahren, um danach umso tiefer abzustürzen.

Der Mythos wurde seit den 1970er Jahren mit der Laffer-Kurve popularisiert, benannt nach dem Ökonomen Arthur Laffer. Der Legende nach soll er sie beim Dinner mit den damaligen Nixon- eratern Donald Rumsfeld und Dick Cheney auf die Serviette gemalt haben. Die Idee: Wenn Steuern ein bestimmtes Niveau übersteigen, weichen ihnen die Steuerzahler immer stärker aus. Bei weiter steigenden Steuersätzen erhöhen sich die Steuereinnahmen kaum noch und sinken ab einem bestimmten Punkt sogar. Umgekehrt gilt: Steuersenkungen bedeuten geringere Steuerausfälle, als es zunächst scheint. Es gibt einen Selbstfinanzierungseffekt, weil die Besteuerungsgrundlagen steigen und Effizienzverluste der Steuervermeidung zurückgehen.

Natürlich ist dieser Effekt bekannt, seit es Steuern gibt. So mokierte sich 1728 der irische Schriftsteller Jonathan Swift über die Erfahrungen der Finanzbehörden, dass bei hoher Steuerbelastung zwei mal zwei selten mehr als eins ergebe. Früher nannte man das »Swiftsches Steuereinmaleins«.

Steuern runter, dann läuft die Wirtschaft besser und die Steuerausfälle halten sich in Grenzen. Das war das Mantra der angebotsökonomischen und neoliberalen Steuerpolitik seit den 1980er Jahren. Ronald Reagan in den USA und Maggie Thatcher in Großbritannien haben so Steuerpolitik gemacht. Und die deutsche FDP hat noch bis zuletzt daran geglaubt.

Der Erfolg dieser Politik war aber durchwachsen. Die Selbstfinanzierung der Steuerausfälle durch mehr Wachstum klappte nur zum kleinen Teil, und die Haushaltsdefizite stiegen. Primär wurden wohlhabende Bürger und Unternehmen bei Einkommensteuerspitzensätzen, Unternehmensteuern, Kapitaleinkommensteuern und Vermögensteuern entlastet. Das hing auch mit der zunehmenden Internationalisierung zusammen, die Steuervermeidungsaktivitäten erleichterte und einen Steuersenkungswettlauf zwischen den Staaten anheizte. Die indirekten Steuern wurden in fast allen Ländern erhöht und die Normalbürger verstärkt in die »kalte« Progression der Einkommensteuer einbezogen. Die gesamtwirtschaftlichen Steuerbelastungen haben sich dadurch in den meisten Ländern nur wenig geändert, Steuerprogression und Umverteilung gingen aber spürbar zurück. Die Steuerbelastungen wurden ungerechter, während die Wachstumswirkungen nur gering waren.

Schaut man sich die Entwicklung der wichtigen Industrieländer über die letzten Jahrzehnte an, zeigt sich kein klarer Zusammenhang zwischen Steuerbelastung und Wirtschaftswachstum: In Skandinavien findet man beispielsweise hohe Steuerbelastungen mit guter wirtschaftlicher Entwicklung, während in süd- und osteuropäischen Staaten, manchen Schwellen- und vielen Entwicklungsländern niedrige Steuerbelastungen nicht mit hohem Wachstum einhergehen.

Inzwischen gibt es eine Menge Studien zu den Wirkungen der Steuerreformen der vergangenen Jahrzehnte. Dabei werden die Ausweichreaktionen der Steuerpflichtigen deutlich geringer eingeschätzt als zu den Glanzzeiten von Neoliberalismus und Laffer-Kurve. Tatsächlich reagieren die Besserverdiener und Unternehmer, die einen großen Teil der direkten Steuern zahlen, nur wenig bei ihren realwirtschaftlichen Aktivitäten, also bei Arbeitszeit, Engagement oder Investitionen. Schon der Ökonomie-Altmeister Joseph Schumpeter vermutete, dass vor allem Gestaltungsfreude und der Wille zum Erfolg die Wirtschaftsbürger antreiben, weniger Bedürfnisbefriedigung, Nutzenkalkül oder Gier. Die wirtschaftlichen Eliten sind zudem stark durch soziale Herkunft und Gruppenzugehörigkeit geprägt. Insoweit ist der Einfluss der Besteuerung auf die grundlegenden wirtschaftlichen Entscheidungen wohl eher gering.

Nennenswerte Steuerausweichreaktionen und Steuerausfälle sind vor allem auf Steuervergünstigungen und Gestaltungsmöglichkeiten bei der Einkommensermittlung zurückzuführen, die häufig auch im internationalen Zusammenhang stattfinden. Diese Steuervermeidungsmöglichkeiten sind aber nicht naturgegeben oder gottgewollt, sondern Folge politischer Entscheidungen wie Deregulierung oder Internationalisierung. Sie können langfristig zurückgeführt werden, politischer Wille und steuertechnische Möglichkeiten vorausgesetzt. Hier hat sich in den letzten Jahren einiges geändert: Steuervergünstigungen wurden in vielen Ländern abgebaut. Steueroasen und unfairer Steuerwettbewerb werden auf internationaler Ebene zunehmend bekämpft. Entsprechend zeigen Studien mit Optimalsteuermodellen, dass die Spitzensteuersätze der Einkommensteuer und die Kapitaleinkommen-, Vermögen- oder Erbschaftsteuern wieder erhöht werden könnten, ohne dass die gesamtwirtschaftliche Effizienz darunter groß leidet.6 Zugleich sollte man es auch nicht übertreiben mit »Reichensteuern« und vorsichtig vorgehen, denn es gibt große Schätzrisiken hinsichtlich langfristiger wirtschaftlicher Wirkungen von Steuererhöhungen sowie steuertechnische und politische Unwägbarkeiten bei der Umsetzung.

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