nd-aktuell.de / 14.09.2016 / Ratgeber / Seite 23

Wie konkret muss die Patientenverfügung sein?

Zum BGH-Urteil zur Patientenverfügung

Anke Plener, Rechtsanwältin in Berlin, Fachanwältin für Medizin- und Sozialrecht
Im nd-ratgeber vom 17. August 2016 wurde an dieser Stelle über das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6. Juli 2016 zur Patientenverfügung informiert. Die BGH-Richter in Karlsruhe hatten in ihrem Urteil darauf verwiesen, dass eine Patientenverfügung konkret sein muss. Vage Formulierungen wie »Ich möchte keine lebenserhaltenden Maßnahmen« können von Ärzten ignoriert werden. Dazu haben uns zahlreiche Leserzuschriften und Telefonanrufe erreicht, worin erhebliche Verunsicherung geäußert wurde. Nachfolgend eine umfassende Information einer Fachanwältin zur Rechtslage und Tipps zur Patientenverfügung.

Bis heute ist die Medizin nicht in der Lage, die Frage zu lösen, wie man jung altert und bis zuletzt ohne Beschwerden und Leiden ist. Stattdessen wächst die Angst, dass Altern auch heute noch bedeutet, hilflos, kompetenz-, macht- und rechtlos zu sein. Die größte Angst bei den über 60-Jährigen besteht vor Pflegebedürftigkeit und davor, gegen ihren Willen von medizinischen Geräten am Leben gehalten zu werden. Allein 47 Prozent fürchten, dass sie nicht mehr selbst über ihre medizinische Versorgung bestimmen können (Institut für Demoskopie Allensbach, Pflege in Deutschland 2009, 5 ff.).

Umso wichtiger ist es, insbesondere mit einer Patientenverfügung Vorsorge zu treffen. Dann können die Betroffenen selbst bestimmen, welche Hilfen sie in welcher Situation wünschen und wer ihren Willen umsetzen soll.

Patient entscheidet frei über Heilbehandlung oder Eingriff

Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist davon gekennzeichnet, dass der Patient auf Grund seines verfassungsrechtlich geschützten Selbstbestimmungsrechtes frei entscheidet, welche Heilbehandlungen, Untersuchungen oder Eingriffe, die medizinisch indiziert sind, er zulässt. Ohne die Einwilligung des Patienten ist jede ärztliche Maßnahme, die in den Körper eingreift, eine verbotene Körperverletzung. Die Einwilligung bedarf aber der Einwilligungsfähigkeit.

Allein entscheidend ist, ob der Einwilligende Grund, Wesen, Bedeutung und Tragweite des ärztlichen Handelns in deren Grundzügen zu überblicken vermag (BGH NJW 1956, 1106). Ein Volljähriger, der wegen psychischer Krankheit bzw. körperlicher, geistiger oder seelischer Behinderung jedoch keine Einwilligungserklärung (mehr) abgeben kann, erhält für die Vertretung seiner Interessen einen Betreuer, es sei denn, seine Angelegenheiten können von Vorsorgebevollmächtigten wahrgenommen werden. Für den nicht mehr einwilligungsfähigen Patienten ist dann bei anstehenden Heilbehandlungen im Zweifel zu prüfen:

- existiert eine Patientenverfügung, wenn nicht,

- welche Behandlungswünsche wurden jemals geäußert,

- welcher mutmaßliche Wille lässt sich ermitteln.

Die Patientenverfügung bestimmt als sogenannte Vorausverfügung, ob in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehende Untersuchungen des Gesundheitszustands, der Heilbehandlungen oder ärztlicher Eingriffe eingewilligt wird oder sie untersagt werden. Verfügt der zu Behandelnde über keine Patientenverfügung, müssen Betreuer oder Bevollmächtigte mit dem Arzt ein Gespräch zur Feststellung d es Patientenwunsches führen (§ 1901 b Abs. 1 BGB). Dies gestaltet sich in der Praxis oftmals noch schwieriger als bei Vorliegen einer Patientenverfügung, die in engen Grenzen ausgelegt werden kann.

Bei der Feststellung des Patientenwillens, seiner Behandlungswünsche oder seines mutmaßlichen Willens sollen nahe Angehörige und sonstige Vertrauenspersonen Gelegenheit zur Äußerung haben, soweit das ohne erhebliche Verzögerung möglich ist. Zu einer Verzögerung führt dies jedoch in jedem Fall. Um dies zu vermeiden, ist es angezeigt, sich rechtzeitig damit auseinanderzusetzen, welche ärztlichen Maßnahmen in welcher Situation gewünscht werden.

Neben der Beratung durch einen Anwalt sollte in jedem Falle auch der Hausarzt aufgesucht werden, um sich über die Folgen der vorgestellten oder gewünschten Entscheidungen aufklären zu lassen und hieran die eigenen Wünsche nochmals zu überprüfen.

Gesetzliche Änderungen sind schon 2009 in Kraft getreten

Die Patientenverfügung muss handhabbar und rechtssicher gestaltet sein. Bereits nach den zum 1. September 2009 in Kraft getretenen gesetzlichen Änderungen war es dringend notwendig, bereits zuvor erstellte Patientenverfügungen auf ihre Wirksamkeit zu prüfen. Dies gilt nach der jüngsten Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 6. Juli 2016 (Az. XII ZB 61/16) zu dieser Thematik erst recht.

Seit der gesetzlichen Änderung im Jahre 2009 enthält § 1901a Abs.1 Satz 1 BGB eine Legaldefinition der Patientenverfügung: »Hat ein einwilligungsfähiger Volljähriger für den Fall seiner Einwilligungsunfähigkeit schriftlich festgelegt, ob er in bestimmte, zum Zeitpunkt der Festlegung noch nicht unmittelbar bevorstehenden Untersuchungen seines Gesundheitszustandes, Heilbehandlungen oder ärztliche Eingriffe einwilligt oder sie untersagt (Patientenverfügung).«

Im nd-ratgeber vom 20. Juli 2016 wurde darüber berichtet, dass die Mehrheit der Senioren, nämlich 54 Prozent der 60- bis 69-Jährigen, über eine Patientenverfügung verfügt. Dies ist erfreulich, gibt jedoch leider noch keine Auskunft über deren Qualität.

In der anwaltlichen Praxis begegnen einem immer wieder Patientenverfügungen, die ungenau sind und aus denen sich ein wirklicher Wille des Betroffenen nicht bestimmen lässt. Dies hängt nicht nur mit unwirksamen Formularen, sondern oftmals auch damit zusammen, dass sich Menschen vielleicht mit dem Sterben an sich, nicht jedoch mit dem dahin führenden Prozess auseinandergesetzt haben oder dies bewusst oder unbewusst vermeiden.

Was hierbei oftmals nicht bedacht wird, ist die Tatsache, dass sich Ärzte, Betreuer und Bevollmächtigte sowie nahe Angehörige später in der Situation befinden können, die Patientenwünsche umzusetzen. Gerade für nahe Angehörige kann das zu schweren Gewissenskonflikten oder zu Zerwürfnissen innerhalb der Familie führen, wenn die Patientenverfügung unterschiedlich ausgelegt wird.

Warum das aktuelle BGH-Urteil folgerichtig ist

Im nd-ratgeber vom 15. August 2016 hatte sich auch der Pflegeexperte Dieter Lang zu Wort gemeldet, dem die Autorin nur ausdrücklich beipflichten kann. »Das aktuelle Urteil des BGH«, so äußerte Dieter Lang, »ist folgerichtig. Es war an der Zeit, das noch einmal so deutlich zu sagen.«

Denn: Eine Patientenverfügung, die allein eine pauschale Ablehnung »lebensverlängernder Maßnahmen« zum Ausdruck bringt, lässt so viel Auslegungsspielraum zu, dass dies den wirklichen Interessen diametral entgegenstehen kann und daher nicht umgesetzt werden darf.

Der BGH statuiert in seiner Entscheidung daher auch, dass der Vollmachttext, der es einem vom Patienten bestimmten Dritten ermöglichen soll, die Patientenverfügung umzusetzen, hinreichend und klar umschreiben muss, dass sich die Entscheidungskompetenz des Bevollmächtigten auf die im Gesetz genannten ärztlichen Maßnahmen sowie darauf bezieht, sie zu unterlassen oder am Patienten vornehmen zu lassen. Hierzu müsse aus der Vollmacht deutlich werden, dass die jeweilige Entscheidung mit der begründeten Gefahr des Todes oder eines schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schadens verbunden sein kann.

Liegt eine wirksame Bevollmächtigung vor, muss der Bevollmächtigte prüfen, ob eine Patientenverfügung im Sinne der Legaldefinition des Gesetzes vorliegt und diese auf die aktuell eingetretene Lebens- und Behandlungssituation des Betroffenen zutrifft. Die gleichen Pflichten treffen den Betreuer oder den Arzt.

Liegt eine wirksame und auf die aktuelle Situation zutreffende Patientenverfügung vor, hat der Betroffene die Entscheidung selbst getroffen. Damit ist sie umzusetzen. Bevollmächtigter oder Betreuer haben dann dafür zu sorgen, dass sich Ärzte nicht über die Patientenverfügung hinwegsetzen.

Bindungswirkung entfaltet die Patientenverfügung indes nur dann, wenn ihr konkrete Entscheidungen des Betroffenen über die Einwilligung oder Nichteinwilligung in bestimmte, noch nicht unmittelbar bevorstehende ärztliche Maßnahmen entnommen werden können. Nicht ausreichend sind daher allgemeine Anweisungen, ein würdevolles Sterben zu ermöglichen oder zuzulassen, wenn ein Therapieerfolg nicht mehr zu erwarten ist.

Allerdings kann auch nicht erwartet werden, dass der Betroffenen seine eigene Biografie als Patient vorausahnt und die zukünftigen Fortschritte in der Medizin vorwegnehmend berücksichtigt.

Allerdings ist die Äußerung, »keine lebenserhaltenden Maßnahmen« zu wünschen, für sich genommen, keine hinreichend konkrete Behandlungsentscheidung. Daraus kann etwa nicht auf den Behandlungswunsch geschlossen werden, dass die künstliche Ernährung oder gar Flüssigkeitszufuhr abgebrochen werden soll.

Wie also kann ich erreichen, eine wirksame und den Anforderungen des Gesetzes und der Rechtsprechung genügende Patientenverfügung zu erteilen?

In unserer anwaltlichen Praxis haben sich von uns entwickelte Fragebögen bewährt. Nachdem die Mandanten in einem ausführlichen Gespräch über die rechtlichen Anforderungen einer Patientenverfügung aufgeklärt wurden, wird ihnen ein Fragebogen mit der Bitte ausgehändigt, sich in Ruhe mit den dort benannten Fragestellungen auseinander zu setzen, die sich auf einen unumkehrbaren Sterbeprozess beziehen. Hier ein Ausschnitt:

Zu lebenserhaltenden Maßnahmen

In den oben beschriebenen Situationen wünsche ich,

- dass alles medizinisch Mögliche getan wird, um mich am Leben zu erhalten und meine Beschwerden zu lindern.

- auch fremde Gewebe und Organe zu erhalten, wenn dadurch mein Leben verlängert werden könnte.

oder

- dass alle lebenserhaltenden Maßnahmen unterlassen werden. Hunger und Durst sollen auf natürliche Weise gestillt werden, gegebenenfalls mit Hilfe bei der Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme. Ich wünsche fachgerechte Pflege von Mund und Schleimhäuten sowie Körperpflege und das Lindern von Schmerzen, Atemnot, Übelkeit, Angst, Unruhe und anderer belastender Symptome.

Zur künstlichen Ernährung

In den oben beschriebenen Situationen wünsche ich,

- dass eine künstliche Ernährung begonnen oder weitergeführt wird.

oder - dass keine künstliche Ernährung unabhängig von der Form der künstlichen Zuführung der Nahrung (zum Beispiel Magensonde durch Mund, Nase oder Bauchdecke, venöse Zugänge) erfolgt.

Zur künstlichen Flüssigkeitszufuhr

In den oben beschriebenen Situationen wünsche ich,

- dass eine künstliche Flüssigkeitszufuhr.

oder

- die Reduzierung künstlicher Flüssigkeitszufuhr nach ärztlichem Ermessen.

oder

- die Unterlassung jeglicher künstlichen Flüssigkeitszufuhr.

Zur künstlichen Beatmung

In oben beschriebenen Situationen wünsche ich

- eine künstliche Beatmung, falls dies mein Leben verlängern kann.

oder

- dass keine künstliche Beatmung durchgeführt bzw. eine schon eingeleitete Beatmung eingestellt wird, unter der Voraussetzung, dass ich Medikamente zur Linderung der Luftnot erhalte. Die Möglichkeit einer Bewusstseinsdämpfung oder einer ungewollten Verkürzung meiner Lebenszeit durch diese Medikamente nehme ich in Kauf.

Fragebogen ist Grundlage für die Patientenverfügung

Auf der Basis dieses Fragebogens wird im Anschluss die Patientenverfügung erstellt. Nicht selten führt der Fragebogen dazu, dass Mandanten mitteilen, die Auseinandersetzung mit den Fragen hätte ihnen eine schlaflose Nacht bereitet. Dies ist aber eigentlich nicht wirklich bedauerlich. Denn im Ergebnis wird sichergestellt, dass die Betroffenen gerade auch nach Rücksprache mit ihrem Hausarzt, der namentlich in der Patientenverfügung erwähnt wird, nicht nur Klarheit über ihre eigenen Wünsche gewinnen, sondern eine Patientenverfügung, die wirksam und umsetzbar ist.

Darüber hinaus empfiehlt es sich, die Angehörigen rechtzeitig über die eignen Behandlungswünsche zu informieren. Dann haben die Betroffenen die Möglichkeiten zu wählen, wen sie mit der Umsetzung der Patientenverfügung betrauen wollen und wer am ehesten in der Lage ist, seine Wünsche umzusetzen, ohne in einen Gewissenskonflikt zu geraten. Auch dies gehört zum Selbstbestimmungsrecht.

Die BGH-Entscheidung bietet demnach eine Chance, eine autarke Entscheidung über das eigene Lebensende zu treffen.