Ränder der Gesellschaft

Szenische Lesungen am Gorki-Theater

  • Volker Trauth
  • Lesedauer: 2 Min.

Der Titel »Flucht, die mich bedingt« umreißt das inhaltliche Zentrum der Texte, die am vergangenen Wochenende am Maxim-Gorki-Theater vorgestellt wurden. »Flucht« steht für bewusstes Handeln oder verzweifelte Rettungsversuche. Sie ist der Erfahrungshintergrund und prägt die Lebenssituation der Autoren und Stückfiguren. Ihre Heimat haben die Schreiber in der Literaturwerkstatt des Gorki-Theaters. Dort sollen sie lernen, die »Brüche und Umbrüche« ihres Lebens, die traumatischen Erlebnisse ins künstlerische Bild zu zwingen. Über ein Jahr haben fünf Autoren unter Anleitung zusammengearbeitet. Stücke waren am Ende entstanden, die nicht explizit den Vorgang des Flüchtens beschreiben - vielmehr die Ausgangsbedingungen in ihren Heimatländern und den schweren Kampf ums »Ankommen« im Gastland. Die Autoren sind zwischen 23 und 36 Jahre alt, sind wie Ayam Majid Agha in Syrien oder in Deutschland wie Necat Öziri geboren worden.

Prägende inhaltliche Vorgabe war das Stichwort »Geschichten von den Rändern der Gesellschaft«. Merkwürdige Dinge geschehen dort: Eine Zirkusdompteurin, ist unschlüssig, ob sie nach der verheerenden Bombardierung des Zirkus’ den Löwen retten soll, indem sie ihm das Zebra zum Fraß vorlegt, ein junger Mann erhält zum 18. Geburtstag seinen deutschen Pass und verspricht dem Einbürgerungsbeamten, ein »stabiles Leben« in Deutschland führen zu wollen, eine Gruppe von Jugendlichen träumt von einem Land, zu dem sie »mein Zuhause« sagen können.

In »Skelett eines Elefanten in der Wüste« von Ayham Majid Agha, einem Stück, das in einer kriegszerstörten Stadt spielt, folgen ohne Übergänge äußere und innere Notsituationen. Ein Mann betrachtet sich als einzigen Verlierer des Krieges, weil ein in einer Flasche versteckter Liebesbrief seiner Frau im nun zu einem anderen Land gehörenden Teil des Toten Meeres nie mehr auffindbar sein wird, Einwohner brechen ihre Wohnungswände auf, um während des Beschusses ihre engen Zimmer verlassen zu können, ein alter Mann irrt in den unterirdischen Fluchtwegen der Stadt herum und hofft, dort unten sterben zu können. Plötzlich explodiert, begleitet von Rauchschwaden, eine Wand der Bühnendekoration auf und gibt den Blick auf ein kärgliches Zimmer frei.

Die szenischen Einrichtungen der Stücke bekennen sich zur Bruchstückhaftigkeit der Vorlagen und der für die Veranstaltung besorgten Strichfassungen. Unvermittelt stehen Behauptungen, Bekenntnisse und szenische Andeutung von kleinen und großen Katastrophen nebeneinander.

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