nd-aktuell.de / 16.09.2016 / Kommentare / Seite 4

Am Anfang ist die Platte

Katharina Schmitz über ihren Einstieg in die Berliner Lokalpolitik, Hundekacke und die Voldemorts der AfD

Katharina Schmitz

Mein steiler, steiniger Weg in die Berliner Kommunalpolitik startet an einer städtischen Tischtennisplatte - so wie es sich für eine richtige Ochsentour gehört. Das Bezirksamt Pankow hat BürgerInnen eingeladen, die sich an der Neugestaltung einer schäbigen Grünfläche beteiligen wollen. Da stehen wir als Mikrokosmos im Biotop mit Erwartungshaltung und schielen auf den Plan, den ein alerter Amtsmensch, der mit seinen hochgekrempelten Ärmeln an den FDP-Spitzenkandidaten Sebastian Czaja erinnert, auf der Platte ausgebreitet hat. Dieser Czaja notiert, was Kinder, Best-Ager, Kleinkind-Eltern, lonely hearts und Senioren so wollen.

Schnell ist klar: Die Mehrheit will keine Hundekacke. Schluss mit den unverschämten Exkrementen auf der sonnenverbrannt braunen Wiese! Die Hundebesitzer wollen mit der in Rede stehenden Kacke nichts zu tun haben, aber: die Kinderkacke in den Büschen sei ja wohl DAS Riesenproblem. Echt jetzt? TV-Moderatorin Sarah Kuttner hatte neulich über Kinder-Pipi gepostet, ein alberner Shitstorm folgte, erwartungsgemäß wurden auch die Eltern »gebasht«.

Das Thema Grünflächengestaltung ist ernst, aber wir Bürger diskutieren entspannt über diese Kacke. Zwei Leute sinnieren einem Vogel hinterher. Die Kinder stehen mittendrin, naturgemäß in Illusion herum. Wie super ist das denn? Hier entsteht ein riesiger Vergnügungspark, natürlich nur für uns! Sie plädieren für eine Skaterrampe. Ein Elternpaar von Kindern im schwierigen Alter spricht sich für mehr Hangout-Möglichkeiten aus, zum Beispiel anstelle des verwaisten Buddelkastens in der Ecke. Die Sandkastenfraktion wird totgequatscht - Subton: Ihr wollt doch nicht so enden wie die Mütter vom Kollwitzplatz, also als Karikatur. Denn auch nördlich vom Kolle liegen die Probleme inzwischen woanders. Nirgendwo können die Großen in Ruhe den ersten Joint rauchen, geschweige denn stundenlang whatsappen!

Kurz: Wir diskutieren, niemand muss keifen und zetern, so wie das die Voldemorts und ihre Anhänger von der AfD machen, die uns an diesem Wahlwochenende hoffentlich nicht das Fürchten lehren. Was meinen, äh, Einzug ins Abgeordnetenhaus angeht, habe ich eine schlimme Beichte. Klar, Flüchtlinge gut behandeln, seriöse Mieten und Renten und etwas Grün wollen alle wählbaren Parteien, aber bei allen klingt es wie »Business as Floskel«. Und Achtung, jetzt kommt’s: Nun, äh, tja, die Partei formerly known as FDP ist für mich derzeit die einzige Partei mit super konkreten Reformvorschlägen. Zum Beispiel: Schulen sollen ihr Sanierungsbudget selbst verwalten können.

Wer jetzt noch dran ist: Zurück zur Platte. Immer wieder schaltet sich der »Rechtsanwalt« ein, der Mann in beiger Hose wendet sich beneidenswert gewappnet wie ein Jurist an die Gruppe. Es ist ihm ein Anliegen, dass die Büsche und Bäume bleiben. Er hat von einem Zaun rundum gehört. Zaun geht gar nicht, da sind sich alle einig, bis auf die Helikoptereltern, die wohl längst ahnen, dass sie hier besser nicht auf dicke Hose machen - die Klage gegen die temporäre Spielstraße liegt in der Luft bzw. hat das Quatschprojekt auf Eis gelegt. Es ist wie in einer Familienaufstellung, fast, jeder hat sein Standing, nur niemandem ist zum Heulen zumute. Muss man sich so eine Bezirksverordnetenversammlung, Unterausschuss Spielplatzkommission, vorstellen?

Da stehe ich nun. In Erinnerung an einen schönen Dokumentarfilm von Volker Koepp über einen Lokalpolitiker fühle ich mich wie »Frau Wichmann von der CDU«. Ich bin nicht allein in meiner Prosition, zwei Verbündete plus vier Kinder bilden meine Fraktion. Rein rechnerisch sind wir gegenüber den Hundebesitzern und Kleinkindeltern gut aufgestellt. Aber auch rhetorisch? Immer wenn ich meine Stimme erhebe, höre ich mir zu, gucke gleichzeitig in die schwer zu deutenden Gesichter. Ich muss die linken und liberalen Rentner (mit und ohne Hund) auf meine Seite ziehen. Ich finde, sage ich fest und stottere innerlich, in einer Stadt kann konkreter Beton nicht schaden - und spreche mich für eine ansehnliche Ansammlung von Steinblöcken, dazu eine Boulebahn auf Sandschotter, Bänke für alle, aus.

Einen Ort für ALLE Generationen, stelle ich mir vor. Au Backe, der Schluss war kitschig, wird mir klar. »Sehr, sehr schön!«, klatscht die patente Dame vom Amt und moderiert mich ab. Weiter geht’s. Heute Abend ist Sitzung des Schulfördervereins, ich will beim Bau einer Turnhalle mitmischen.