nd-aktuell.de / 22.09.2016 / Kultur / Seite 14

Der Weg ist kein Ziel

»Kap Hoorn« im Theaterdiscounter

Lucía Tirado

Es steht ein Pferd am Klavier. Alles rundum glitzert und flimmert. Schon geht der Rummel los. Napoleon ist da. Er holt sich Josephine, fährt mit ihr eine Runde mit der Rummelbahn. Beide grüßen das Publikumsvolk. Das Volk winkt zurück. Volk winkt immer. Die szenische Konzert-Installation »Kap Hoorn« von der für grenzgängerische Arbeit bekannten Performancegruppe KOIKATE und dem Neue-Musik-Ensemble LUX:NM präsentiert sich im Theaterdiscounter als opulente Show. Napoleon und Josephine feuern als Entertainer den Ablauf an. Ab und an dröhnt ein Jingle rein.

Versprochen ist mit der Produktion, auf dem Jahrmarkt der Emotionen unsere Sehnsucht nach allem Möglichen zu füttern und die durch ständige Überreizung vernebelte Orientierung wieder auf Kurs zu bringen. Ein lobenswertes Vorhaben. Zunächst sieht es aber nicht nach etwas Richtungsweisendem in der Gemütsbewegung aus. Vielmehr wird der Show-Wahnsinn noch komprimiert. Man wird mit Action zugekippt. Trügerisch, wie sich die Entertainer durch vermeintlich private Erfahrungen beim Zuschauer ins Vertrauen zu bringen bemühen, während sie Stationen der Ausstattung erklären. Daniel Hinojo stolziert als Napoleon in kurzen Hosen wie ein Gockel herum. Auch die unablässig flimmernden Filmcollagen zeigen ihn bis ins Komische eitel. Als Feldherr schreckt er nicht einmal davor zurück, der Pferdeattrappe mit der Frage nach dem Befinden bei Waterloo das Mikrofon vors Maul zu halten. Das arme Ding schweigt.

Die beiden Akteure - unterstützt vom meist scheinbar teilnahmslosen Christoph Limbach - bleiben nicht allein. Durch das Programm hetzend präsentieren sie Künstler. Doch am Rande agieren sie ungehemmt weiter. Die Auftretenden ungekonnt imitierend, verbreiten sie Unruhe.

Für das »Fantastische Akkordeonorchester« als erste Darbietung steht eine Rummelbude bereit. Langsam herabgleitend geben die Bälger der acht Schifferklaviere ihr Seufzen von sich. Gordon Kampe schrieb die Musik auch für weitere Titel der Songliste, die mit Posaune, Saxophon, Klavier und Violoncello einzeln oder im Ensemble vorgetragen werden. Das ist wirkungsvoll gemacht. Denn in diesen Momenten werden die Emotionen auf andere Wege gebracht. Die Neue Musik wendet sich mitten im Rummel vom Rummel ab, nimmt einen mit, bringt Gedanken auf den Weg. Die so eingearbeitete Klippe ist die Leistung der uns den Spiegel vorhaltenden Produktion.

Kap Hoorn kann ein Gleichnis sein. Der vor dem Bau des Panamakanals einst schwierige, aber einzig schiffbare Weg von Europa an die Westküste Amerikas brachte das traurige Ergebnis des größten Schiffsfriedhofs der Welt. Wie ist es um unser Kap Hoorn als Sehnsucht nach immer mehr Außergewöhnlichem, nach immer mehr Sensationen bestellt? Wo führt uns das hin? Der Weg kann doch kein Ziel sein.

Während der Show gehen Zuschauer als »Lotteriegewinner« auch mal kurz auf Expedition, um von anderen unbeobachtet etwas zu erleben. Davon wird hier natürlich nichts verraten.

Bis 24.9., jeweils 20 Uhr (am 22.9. mit Publikumsgespräch), Theaterdiscounter, Klosterstr. 44, Mitte