nd-aktuell.de / 22.09.2016 / Wirtschaft und Umwelt

CETA kann Hunderttausende Arbeitsplätze vernichten

US-Studie: Abkommen zwischen EU und Kanada bringt geringere Löhne, größere Handelsbilanzdefizite und sinkende Steuereinnahmen

Stephan Fischer

Das umstrittene CETA-Abkommen zwischen der EU und Kanada wird aus vielerlei Gründen kritisiert – am schwersten wiegt wohl der Vorwurf, dass es sich keinesfalls um ein reines Freihandelsabkommen handelt, wie es dessen Befürworter gerne sprachlich ummanteln, sondern um einen massiven Eingriff in die politische Statik der unterzeichnenden Staaten handelt – zulasten der Demokratie, zugunsten von Kapitalinteressen. Private Schiedsgerichte, die sich jeder öffentlichen Kontrolle entziehen, sind dafür zum konkreten Beleg und Angstbegriff geworden.

Befürworter argumentieren dagegen mit der ökonomischen Notwendigkeit und den Vorzügen des Abkommens. Dahinter steckt der Glaube, dass der Abbau von Handelsbeschränkungen geradezu automatisch zu höherem Wirtschaftswachstum führe, das letztendlich auch den Gesellschaften nützt. Abgesehen vom problematischen Fokus auf das Wachstum und der zweifelhaften Projektion á la »Was der Wirtschaft nützt, nützt allen« – ein in Zeiten des herrschenden Finanzkapitalismus geradezu absurder Glaubenssatz – kann CETA offenbar nicht einmal auf ökonomischem Feld das halten, was dessen Befürworter versprechen. Bisherige CETA-Studien im Auftrag der EU, also keinesfalls eine neutrale Instanz, errechneten einmalige Wachstumseffekte von ganzen 0,003 Prozent bis 0,08 Prozent des europäischen Bruttoinlandsprodukts. Das scheint bereits ein sehr kleiner ökonomischer Gewinn zu sein, um dafür Arbeitnehmerrechte, Umweltstandards und demokratische Rechte aufs Spiel zu setzen oder gleich ganz zu verkaufen.

Aber offenbar würde CETA alle Beteiligten in eine Lose-Lose-Situation bringen. Nicht nur Arbeitnehmerrechte wären futsch – auch Arbeitsplätze: Forscher der Tufts University im US-Bundesstaat Massachusetts gehen in einer Studie davon[1] aus, dass CETA in der EU bis zu 230.000 und in Kanada bis zu 80.000 Arbeitsplätze kosten könne.

In ihrer Studie prognostizieren sie Auswirkungen bei Inkrafttreten des Abkommens, die jedem politisch Verantwortlichen nachts nicht ruhig schlafen lassen dürften: Wirtschaftssektoren, die plötzlich internationalen Druck und Wettbewerb ausgesetzt sind, schrumpfen demnach schneller, als dass dies vom Wachstum anderer Sektoren aufgefangen werden kann. Im Klartext: Arbeitsplätze fallen weg und im Gegenzug entstehen nicht in gleicher Anzahl neue Beschäftigungsmöglichkeiten. Auch sonst sind die ökonomischen Folgen durchweg negativ:

Auf der Ebene der Volkswirtschaften würden sich die Unterschiede zwischen den EU-Staaten noch weiter vergrößern – während starke, exportorientierte Länder wie Deutschland insgesamt profitieren, würden andere noch weiter den Anschluss verlieren. Die größten Verlierer wären allerdings die Beschäftigten: Wenn nicht gleich der Arbeitsplatz weg ist, müssten sie sich auf sinkenden Einkommen einstellen. In Kanada würden die jährlichen Lohneinkommen bis 2023 durchschnittlich um 1776 Euro schrumpfen, in Europa je nach Staat um 316 bis 1331 Euro.

Da Einkünfte aus Arbeit ungleich stärker besteuert werden als Kapitaleinkünfte, entweder durch die Steuersätze selbst oder der Praxis international agierender Konzerne, Steuerzahlungen gleich ganz zu vermeiden, würden die Staatseinkünfte sinken. CETA schränkt demnach den Investitionsspielraum des Staates nicht nur politisch, sondern auch ganz konkret monetär ein, prognostizieren die US-Forscher. »Die Studie belegt, das CETA nicht nur ein Angriff auf soziale Standards, Arbeitsrechte, Umweltschutz, nachhaltige Landwirtschaft und Demokratie ist. Die Mehrheit der Menschen würde auch ökonomisch verlieren - das Gegenteil dessen, was uns immer versprochen wird«, konstatiert Roland Süß, Handelsexperte bei ATTAC. Allein die Erfahrungen der letzten Jahre in Europa würden die »Absurdität der Annahme« zeigen, dass niedrigere Löhne mehr Arbeitsplätze schaffen würden. Und steigende Löhne im Exportsektor könnten den Verlust an Binnennachfrage nicht ausgleichen, wenn in den anderen Sektoren die Löhne sinken. Die Studie zeige, dass »Exportsteigerungen bei gleichzeitigem Druck auf Löhne und Arbeitsplätze kein geeignetes Mittel sind, um Wohlstand für die Mehrheit der Menschen zu schaffen«, schließt Süß. Und noch ein Effekt würde CETA hervorrufen: Der Anteil der Kapitalgewinne am Bruttoinlandsprodukt stiege, während die Lohnquote spiegelbildlich dazu sinken würde.

Ihrer Studie haben die US-Wissenschaftler das United Nations Global Policy Model (GPM)[2] zugrunde gelegt. Laut Süß gingen die EU-Studien, die ein Wachstum, wenn auch fast unsichtbar, prognostizieren, von falschen Prämissen und Annahmen aus: Alle diese Studien basierten auf einem Simulationsmodell, in dem Vollbeschäftigung herrsche und das Abkommen keine Auswirkung auf die Einkommensverteilung habe. Und in dem »wettbewerbsfähige« Wirtschaftssektoren, die von Liberalisierungen und Marktöffnungen profitieren, alle entstandenen Verluste in den anderen schrumpfenden Sektoren kompensieren würden. Das würde auch für verlorene Arbeitsplätze gelten: Solange die Löhne nur niedrig genug seien, würde jeder Beschäftigte in einem andern Sektor eine neue Stelle finden. Gerade die europäischen Austeritäts- und Krisenpolitiken der vergangenen Jahre, die Löhne und Arbeitseinkommen massiv gedrückt hat, beweist aber die Irrigkeit dieser Annahme.

Links:

  1. http://www.ase.tufts.edu/gdae/policy_research/ceta_simulations.html
  2. https://de.wikipedia.org/wiki/United_Nations_Global_Policy_Model