nd-aktuell.de / 05.10.2016 / Berlin / Seite 9

Zu wenig Übung mit der scharfen Waffe

Gewerkschaft: Jede siebente Schießbahn gesperrt - Tausende Polizisten erhalten vorgeschriebenes Training nicht

Tomas Morgenstern

Greifen Berlins Polizeibeamte im Einsatz zu schnell zur Dienstwaffe? Drücken sie unter Stress zu schnell ab, weil sie vielleicht zu wenig praktisches Training an der Waffe haben? Das ganz gewiss nicht, versicherte Benjamin Jendro, Pressesprecher des Landesbezirksvorstand Berlin der Gewerkschaft der Polizei (GdP) am Dienstag dem »nd« auf Anfrage.

Noch nicht. »Berlins Polizisten profitieren bisher von ihrer guten Schießausbildung«, stellte Jendro klar. »Aber infolge der Schließung zahlreicher schadstoffbelasteter Schießstände haben wir ein Problem: Wir können das notwendige Schießtraining nicht im erforderlichen Maße durchführen.«

Die Situation ist alarmierend. Von 73 Schießbahnen, die der Berliner Polizei ursprünglich für Ausbildung und Übungsbetrieb zur Verfügung standen, dürfen nach Jendros Angaben derzeit nur noch ganze elf an zwei Standorten - an der Landespolizeischule in Ruhleben (acht) sowie bei der Direktion 3 in der Kruppstraße (drei) - genutzt werden. »Um zumindest die Ausbildung abschließen zu können, nutzen wir sogar schon den Schießplatz der Bundeswehr im brandenburgischen Lehnitz.«

Der GdP-Sprecher forderte von der Senatsinnenverwaltung schnelle Lösungen. Der vor der Wahl anvisierte Zeitraum 2018/2019 sei nicht geeignet, das Problem zu entschärfen. »Wenn nicht rasch etwas geschieht, dann haben wir es zum Jahresende damit zu tun, dass Tausende Beamte in diesem Jahr nicht scharf geschossen haben.« Berlin verfügt über insgesamt rund 16 000 Polizeibeamte.

Auf dieses Problem hatte der Innenpolitiker Christopher Lauer am Wochenende hingewiesen. Lauer, Ex-Pirat und noch bis zum 27. Oktober Mitglied des Abgeordnetenhauses, hatte die jüngsten Vorkommnisse mit Schusswaffengebrauch zum Anlass für eine über den Kurznachrichtendienst Twitter lancierte hemdsärmelige Kritik an der Polizei genutzt. Er hatte damit für Empörung vor allem bei der GdP gesorgt. Der SPD-Politiker erinnerte gegenüber dem »nd« daran, dass schon 2015 rund 700 Polizisten nicht mit ihrer Waffe geschossen hatten. Das habe er als Mitglied des Innenausschusses des Abgeordnetenhauses auf eine Schriftliche Anfrage beim Polizeipräsidium hin erfahren. Diese Beamten hätten aus Sicherheitsgründen eigentlich ihre Waffen abgeben müssen, so Lauer.

Benjamin Jendro bestätigte, dass laut Geschäftsanweisung des Polizeipräsidenten jeder Polizist einmal im Kalenderjahr im Training scharf geschossen haben muss. Aufgrund der Schließung von Schießständen werde einer weiteren Anweisung zufolge aber auch der Schuss mit einem Lasergerät anerkannt. »Wir als GdP kritisieren das als nicht hinreichend.«

Lauer verwies darauf, dass zur Begründung der Polizeischüsse in jüngster Vergangenheit stets angeführt wurde, die Beamten hätten sich in einer Notwehrsituation befunden. Jeder Einzelfall müsse natürlich differenziert bewertet werden. »Was wir brauchen, ist eine Debatte um den Schusswaffengebrauch«, sagte er. »Mir geht es darum zu ergründen, wie es eine solche Häufung von Schusswaffeneinsätzen gab. Die Polizei muss sich kritisch der Frage stelle, wie solche Situationen zu verhindern sind.«

Das Polizeipräsidium geht indessen davon aus, dass es sich bei den jüngsten Fällen von Schusswaffengebrauch lediglich um eine »zufällige Häufung auf niedrigem Niveau« handle. Sprecher Thomas Neuendorf räumte ein, dass die Trainingssituation nicht optimal sei, jedoch die Mindestanforderungen erfüllt würden.