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Ein Glas zu viel

Obst sollte auf keinem Speiseplan fehlen, doch auch hier gilt: Jeder Mensch sollte sein Maß kennen

  • Angela Stoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Immer wieder litt der sechsjährige Felix an Bauchweh, Übelkeit und Durchfall - und das ohne erkenntlichen Grund. Er wurde ein ums andere Mal untersucht, vom Kinderarzt, in der Klinik, ihm wurde Blut abgenommen, es wurden Stuhlproben getestet, der Bauchraum per Ultraschall durchleuchtet. All das ergab nichts. »Am Ende hieß es, die Beschwerden seien psychosomatisch«, berichtet seine Mutter. »Aber das konnte ich nun wirklich nicht glauben!« Schließlich schickte die Ärztin das Kind doch noch zu einem letzten Test, der endlich die Lösung ergab: Felix hat eine stark ausgeprägt Fructosemalabsorption - er verträgt Fruchtzucker also sehr schlecht. »Wir waren froh, dass wir endlich Bescheid wussten und dass die Sache harmlos ist«, sagt die Mutter. »Auch wenn die Ernährungsumstellung schon ziemlich lästig war.«

Unverträglichkeiten bestimmter Nahrungsmittel sind derzeit ein vieldiskutiertes Thema. In Supermärkten wimmelt es von laktose- und gluten-freien Produkten, die oft auch von Menschen gekauft werden, die sie nicht brauchen. Von Fructosemalabsorption hört man vergleichsweise selten - dabei ist sie offenbar viel häufiger als Laktoseintoleranz oder gar Glutenunverträglichkeit: Wie aus einer Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Nahrungsmittelallergie der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und klinische Immunologie hervorgeht, haben etwa ein Drittel der Erwachsenen und zwei Drittel der Kinder eine Fructosemalabsorption. Wie kann das sein?

»Es kommt ganz auf die Ernährungsgewohnheiten an, wie viel man davon merkt«, erklärt die Ernährungswissenschaftlerin Imke Reese aus München. Wer nur gelegentlich ein Stück Obst isst, wird wahrscheinlich nie Probleme bekommen. Reese legt Wert darauf, für das Phänomen den sperrigen Begriff »Malabsorption« zu verwenden und nicht von »Fructoseintoleranz« zu sprechen, wie das Laien tun: »Es ist ja nicht so, dass die Betroffenen Fructose überhaupt nicht vertragen. Bei ihnen ist nur die Aufnahmekapazität herabgesetzt.« Außerdem kommt es bei der üblichen Wortwahl leicht zu Missverständnissen: Es gibt nämlich eine sehr seltene, vererbbare Stoffwechselstörung, die »hereditäre Fructoseintoleranz« heißt. Diese Patienten müssen lebenslang komplett auf Fruchtzucker verzichten, um nicht schwer krank zu werden - was bei der gängigen Malabsorption keineswegs der Fall ist.

Fructose ist ein Einfachzucker, der in Obst und einigen Gemüsesorten, aber auch in Honig, Fruchtsaft, Limonade, Müsliriegeln, Marmelade und Süßwaren steckt. Der Stoff wird normalerweise über den Dünndarm aufgenommen und weiterverwertet. Damit Fructose in die Dünndarmzellen gelangt, sind bestimmte Transportproteine nötig. Bei einer Malabsorption ist dieser Prozess eingeschränkt: »Entweder sind nicht genügend dieser Transportproteine vorhanden oder sie sind weniger aktiv«, erklärt Andreas Leodolter, Chefarzt der Inneren Medizin am Evangelischen Krankenhaus Herne. So gelangt Fructose weitgehend unverdaut in den Dickdarm und wird dort von Bakterien unter anderem zu kurzkettigen Fettsäuren und Gasen abgebaut, die Blähungen und Durchfall auslösen können. Warum das Transportsystem bei manchen Menschen gestört ist, ist nicht ganz klar - wahrscheinlich spielt die Veranlagung eine große Rolle. Um eine Krankheit handelt es sich dabei nicht, beruhigt Leodolter. Die Beschwerden können für die Betroffenen zwar sehr unangenehm sein - Folgen für die Gesundheit hätten sie in der Regel aber nicht. Dass es sich um ein harmloses Phänomen handelt, verdeutlicht auch die Tatsache, dass niemand unbegrenzt viel Fruchtzucker verträgt: »Wenn man die Menge immer weiter nach oben schraubt, ist bei jedem Menschen ein Punkt erreicht, ab dem er Fructose nicht mehr aufnehmen kann«, erklärt der Magen-Darmspezialist. Man nimmt an, dass diese Grenze bei den meisten Menschen bei 50 Gramm Fructose überschritten ist, was etwa drei bis vier Gläsern Apfelsaft entspricht.

Einer Fructosemalabsorption auf die Spur zu kommen, ist nicht so einfach, räumt Leodolter ein. Denn Verdauungsprobleme können sehr viele Ursachen haben. Kommt hinzu, dass einige Menschen oft erst zeitverzögert auf Fruchtzucker reagieren: »Die Beschwerden treten 15 Minuten bis sechs Stunden nach der Aufnahme größerer Fructose-Mengen auf«, sagt der Arzt. Deshalb sollten Menschen mit Darmproblemen ihre Essgewohnheiten genau beobachten. »Hilfreich ist ein Tagebuch, in dem man genau notiert, was man zu welcher Zeit zu sich genommen hat und wann sich welche Beschwerden einstellen«, rät Leodolter. Um die Diagnose zu sichern, führt ein Arzt in der Regel einen Wasserstoff-Atemtest durch. Dabei muss der Patient eine Fructoselösung trinken und danach in ein Messgerät pusten. Bei einer Malabsorption vergären die Dickdarmbakterien den unverarbeiteten Fruchtzucker nämlich unter anderem zu Wasserstoff, der abgeatmet wird.

Leodolter geht davon aus, dass heute öfter eine Fruchtzuckermalabsorption festgestellt wird als früher. »Man achtet heute stärker darauf. Zum anderen nehmen die Menschen aber auch mehr Fructose zu sich«, erklärt er. Dabei sieht er weniger in Obst ein Problem, sondern in Fruchtsäften. »Man meint immer, Apfelsaft sei so gesund. Das stimmt so nicht. Er ist vor allem süß!«, betont der Arzt.

Auch Reese sieht in Säften das Hauptproblem: »Wenn man Fructose flüssig zu sich nimmt, gelangt sie sehr schnell in den Dünndarm, so dass die Aufnahmekapazität leicht überschritten wird.« Isst man dagegen ein Stück Obst zusammen mit Quark, bleibt der Speisebrei eine Weile im Magen, so dass der Fruchtzucker erst nach und nach in den Dünndarm gelangt. Hat ein Kind oft Bauchweh, sollte man schauen, was es trinkt, rät sie. Manchmal lösten sich die Probleme, wenn man die Säfte weglasse.

Stellt ein Arzt die Diagnose Malabsorption, empfiehlt man den Patienten eine mehrwöchige Karenzphase, in der sie komplett auf Fruchtzucker verzichten. »Danach steht die Duldungsphase an, in der der Fructoseanteil in der Nahrung wieder erhöht wird«, sagt Leodolter. Es ist wichtig, dass die Patienten sich wieder an den Stoff gewöhnen, damit die für die Verarbeitung zuständigen Transporter ihre Arbeit nicht einstellen. Wie viel Fruchtzucker in welcher Form man verträgt, muss behutsam ausgetestet werden - individuell kann das ganz verschieden sein. Es ist zwar klar, dass etwa Äpfel, Birnen und Weintrauben einen hohen Fructoseanteil haben. Die Verträglichkeit hängt aber auch davon ab, wie hoch der Glukose- und Sorbitgehalt der Obstsorten ist: Glukose erleichtert die Aufnahme von Fruchtzucker, Sorbit erschwert sie. Entscheidend ist außerdem, in welcher Form (als Saft, als ganze Frucht oder getrocknet) man das Obst isst und was man dazu verzehrt. »Die Sache ist komplex«, betont Reese. Deshalb rät sie, eine qualifizierte Ernährungsberatung in Anspruch zu nehmen. »Ich erlebe immer wieder, dass sich die Betroffenen beim Essen stark einschränken. Das muss aber gar nicht sein!«

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