nd-aktuell.de / 05.10.2016 / Politik

Bundesanwaltschaft deckte offenbar Schredderaktion des Geheimdienstes

Angehörige eines NSU-Opfers erstatten Anzeige gegen Verfassungsschützer

René Heilig

Angehörige des 2004 mutmaßlich vom Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordeten Mehmet Kubaşık und deren Rechtsanwälte erstatten Strafanzeige gegen Mitarbeiter des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Anlass sind Aussagen eines ehemaligen Verfassungsschutz-Referatsleiters mit dem Arbeitsnamen Lothar Lingen bei einer Vernehmung durch das Bundeskriminalamt im Oktober 2014. Lingen hatte am 11.11.2011 - also eine Woche nach dem Auffliegen der rechtsextremistischen Terrorgruppierung - zahlreiche Akten über Vertrauensleute des Geheimdienstes geschreddert, die im Umfeld des NSU platziert waren.

Lingens Aussagen waren bei der Sitzung des Bundestags-Untersuchuchungsausschusses in der vergangenen Woche erstmals öffentlich geworden. Danach war dem Verfassungsschützer bereits damals »völlig klar, dass sich die Öffentlichkeit sehr für die Quellenlage des BfV in Thüringen interessieren wird. Die bloße Bezifferung der seinerzeit in Thüringen vom BfV geführten Quellen mit acht, neun oder zehn Fällen hätte zu der … Frage geführt, aus welchem Grunde die Verfassungsschutzbehörden über die terroristischen Aktivitäten der Drei eigentlich nicht informiert worden sind. Die nackten Zahlen sprachen ja dafür, dass wir wussten, was da läuft, was aber nicht der Fall war. Und da habe ich mir gedacht, wenn der quantitative Aspekt also die Anzahl unserer Quellen im Bereich des Thüringer Heimatschutz und Thüringen nicht bekannt wird, dass dann die Frage, warum das BfV von nicht gewusst hat, vielleicht gar nicht auftaucht.«

Mit dieser Aussage bestätigt Lingen den Vorsatz seiner Tat, der bei einem inzwischen folgenlos gebliebenen Ermittlungsverfahren durch die Kölner Staatsanwaltschaft in Abrede gestellt wurde.Das BKA-Vernehmungsprotokoll mit Lingens Aussage hat die Bundesanwaltschaft dem Oberlandesgericht München und damit auch den Nebenklägern bis heute vorenthalten, betonen die Rechtsanwälte Antonia von der Behrens, Carsten Ilius, Sebastian Scharmer und Peer Stolle. Die Bundesanwaltschaft sei sogar soweit gegangen, in der Hauptverhandlung eine unzutreffende Stellungnahme abzugeben. So wurde der Antrag der Nebenklage auf Ladung des Verfassungsschutzagenten Lingen abgelehnt.