nd-aktuell.de / 07.10.2016 / Politik / Seite 12

Nach 72 Minuten glänzt der Regionalzug

400 Bahnwagen werden pro Tag im ICE-Werk in Frankfurt-Griesheim gereinigt - eine schwere körperliche Arbeit

Nathalie Bockelt, 
Frankfurt am Main

Der Regionalzug ist gerade zum Stehen gekommen - und schon nähert sich die Putzkolonne: acht starke Männer bepackt mit Staubsauger, Putzeimern und jeder Menge Mülltüten. Die Urlaubszeit ist vorbei, die ersten Bundesliga-Partien sind gespielt worden. Es gibt viel zu tun für Christoph Bolle, den Leiter der Fahrzeugreinigung im ICE-Werk Frankfurt-Griesheim, und seine Mitarbeiter. Zunächst steigen die sogenannten »Sackleute« ein und sammeln Zeitungen, Verpackungen und anderen Müll auf. Anschließend wuseln die Männer mit Lappen und Putzwasser durch die Gänge, um Fenster, Ablagen und den Boden zu säubern. Für die Sitze gibt es ein Extraktionsgerät, das die Polster gleichzeitig durchspült und absaugt. »Wir nutzen keinen Schaum«, sagt Bolle. Denn der könne gerade im Sommer den Fahrgästen am Hintern kleben bleiben. Die Toiletten werden erst am Ende geputzt.

72 Minuten brauchen die acht Mitarbeiter für die Grundreinigung des Regionalzuges. Allerdings hat jeder Fahrzeugtyp eigene Zeiten: Die Grundreinigung eines ICE beschäftigt 14 Mitarbeiter ganze sechseinhalb Stunden lang. »Die Inneneinrichtung ist anders und der Teppich ist natürlich aufwendiger.«

400 Wagen werden pro Tag im ICE-Werk in Frankfurt-Griesheim gereinigt. Dazu gehören neben den ICE der Baureihen 406, 407 und 415 auch die hessischen Regionalzüge der Bahn. Griesheim ist ein sogenanntes Leitwerk, fünf gibt es in Deutschland. »Einmal am Tag erwischen wir jedes Fahrzeug irgendwo in der Bundesrepublik für eine Reinigung«, so Bolle.

94 Mitarbeiter arbeiten im Zwei-Schicht-Betrieb, auch nachts. Während der Rushhour ist im Werk nicht viel los, da die meisten Züge auf der Strecke sind. Doch was, wenn ein Zug liegen bleibt oder Verspätung hat? Kein Problem für Bolle. »Kleine Planabweichungen haben wir täglich.« In Frankfurt könne man wegen der großen Anzahl an Zügen gut umplanen.

Neben der Halle rollt eine verstaubte, doppelstöckige Regionalbahn auf das Waschgleis. Dort wird der Zug auf 300 Metern wie in einer Autowaschanlage zunächst eingeschäumt und dann geschrubbt. Was die Anlage nicht erreicht, muss ein Mitarbeiter mit Besen und Lauge nacharbeiten. »Der Beruf ist eine traditionelle Männerdomäne«, erklärt Bolle. Die Arbeit sei körperlich sehr schwer. Zurück im Werk trifft Bolle Davut Yikilmaz, der als Qualitätsprüfer arbeitet. Dieser läuft gerade mit einem Kollegen der DB Regio Hessen durch eine gereinigte Regionalbahn. »Für das ungeübte Auge sieht das sauber aus«, sagt Bolle. Doch in das Prüfprogramm, eine App auf seinem Firmen-Smartphone, tippt Yikilmaz ein, welche Ecken noch nicht sauber genug sind. »Jeder Fahrgast hat sein persönliches Sauberkeitsempfinden«, erklärt Bolle. Das zu berücksichtigen, sei an manchen Tagen schwieriger als an anderen. Besonders schmutzig seien die Züge oft nach Bundesliga-Spielen: Bierflaschen, Essensreste oder zerschlagenes Inventar - darauf treffen die Mitarbeitern immer wieder. »Da holen wir selbst aus einem kurzen Zug zehn Säcke Müll raus.«

Doch auch Bolle hat eine Schmerzgrenze. »Für mutwillig verdreckte Züge fehlt mir jedes Verständnis«, sagt er ärgerlich. Vor seiner Mannschaft könne er da nur den Hut ziehen. dpa/nd