Putin und Erdogan nehmen Gespräche über Syrien auf

Kreml-Chef reist an den Bosporus: Verhandlungen über die Politik im Nahen Osten und über Wirtschafts-Deals

  • Roland Etzel
  • Lesedauer: 3 Min.

Milliardenschwere Pipeline-Pläne, das Zerwürfnis mit den USA im Syrien-Krieg und ein Atom-Projekt: Wladimir Putin reist am Montag mit großen Themen im Gepäck zum Besuch nach Istanbul. Das Wiedersehen des Kremlchefs mit Präsident Recep Tayyip Erdogan soll den begonnenen Neustart der belasteten Beziehungen zwischen Russland und der Türkei voranbringen.

Bei allen gemeinsamen Interessen, die Russland und die Türkei gegenwärtig zur bilateralen Kooperation anhalten, gibt es einen Punkt, in dem lange Zeit wenig Einvernehmen herzustellen war: der Krieg in und um Syrien. Russland Präsident Wladimir Putin hatte sich vor Jahresfrist dafür entschieden, seinem Amtskollegen Baschar al-Assad beim Krieg gegen innere und äußere Angreifer direkte militärische Unterstützung zukommen zu lassen – der erste Fall dieser Art seit Bestehen der Russischen Föderation. Damit stellte sich Russland vermeintlich in direkte Konfrontation zur Türkei.

Deren Präsident Recep Tayyip Erdogan hatte bereits 2012 den Sturz Assads zum Staatsziel erhoben und Assad-Gegnern aller Couleur über die 820 Kilometer lange gemeinsame Grenze das Einsickern im Nachbarland gestattet, Rückkehrmöglichkeit eingeschlossen. Von einem Einfall mit eigenen Truppen hatte Erdogan aber Abstand genommen.

Bis zum 24. August dieses Jahres. Da überschritt das türkische Heer mit Panzern die Grenze, um die territoriale Vereinigung der kurdisch-syrische Entitäten zu verhindern. Dies war schnell erreicht, nachdem die USA den Plänen Ankaras öffentlich und Russland offenbar leise zugestimmt hatten. Die Kurden erinnert dies schmerzlich daran, dass ihre Interessen wohl einmal mehr bei einem Deal der Großen unter den Tisch gefallen sind.

Dabei sah es zu Jahresbeginn für die syrischen Kurden und ihre Selbstbestimmungswünsche so gut aus wie nie. Die USA wollten eine syrische Kriegspartei mit aus ihrer Sicht guter Reputation als ihren Turm auf dem syrischen Schlachtfeld besitzen und unterstützten deshalb die sogenannte Rojava-Entität mit Luftangriffen gegen deren dschihadistische Gegner vom Islamischen Staat und auch, um Assad zu schwächen.

Und Moskau, nach dem Verlust eines Kampfflugzeugs über Syrien durch eine türkische Rakete noch in politischer Eiszeit mit Ankara, richtete den Rojava-Kurden als Retourkutsche sogar eine Interessenvertretung in Moskau ein. Bei Erdogan hatte das wütende Reaktionen ausgelöst, doch war davon in der Folgezeit kaum noch etwas zu vernehmen.

Zwar haben weder Russland noch die Türkei ihre eigentlich diametral entgegengesetzten Kriegsziele in Syrien öffentlich revidiert, dennoch deutet manches auf eine pragmatische Verständigung unterhalb der offiziellen Verlautbarungen hin. So gab es von russischer Seite faktisch keinen Widerspruch gegen den türkischen Einfall in Nordsyrien und damit gegen die Rojava-Kurden, denen man gerade erst diplomatische Unterstützung hatte zuteil werden lassen.

Auf der anderen Seite hat zwar die gesamte westliche Welt aufgeschrien, seit die Feuerpausen-Vereinbarung für Syrien zerbrochen ist und russische Flugzeuge von Rebellen gehaltene Bezirke von Aleppo angreifen. Die Stimme der Türkei, ohne deren Rückendeckung die Regierungsgegner von Ost-Aleppo längst am Ende wären, hörte man dabei aber kaum. Auch Erdogans Tiraden gegen Assad sind verstummt.

Für die die Arbeiterpartei Kurdistans in der Türkei und ihren Ableger Partei der Demokratischen Union in Syrien sind das schlechte Zeichen. Dass die türkischen Streitkräfte vor einem Jahr ganze Stadtviertel im kurdischen Südosten in Schutt und Asche legten, scheint heute weder Russland noch dem Westen der Aufregung wert; auch nicht übrigens der Bundestags-Delegation, die kürzlich in der Region »ihre« Soldaten aufsuchte. Erdogan schickt sich an, in den kurdisch-syrischen Gebieten westlich des Euphrat eine Pufferzone für syrische Flüchtlinge einzurichten. Damit sind offenbar alle einverstanden – außer den Kurden.

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