nd-aktuell.de / 22.10.2016 / Kultur / Seite 16

Die Angst überwinden

»Stören« als Bestandteil des Festivals »Theater zur Demokratie« im Gorki-Theater

Volker Trauth

Inwieweit das »Vertrauen der Bürger in Institutionen des Rechtsstaats geschwunden ist«, wie es »um die innere Freiheit der Menschen steht« - diese Fragen stehen im Zentrum eines Festivals, das vom Maxim-Gorki-Theater betreut wird. Protagonistinnen der beiden wichtigsten Theaterstücke sind nicht einsame Heldinnen und Entscheidungsträgerinnen, sondern »einfache« Frauen. In der Uraufführung von »Atlas des Kommunismus« , die von Lola Arias inszeniert worden ist, erzählen weibliche Individuen ihre persönlichen Geschichten, in denen sich wie im Tautropfen die Welt spiegelt.

Frauen sind auch die alleinigen Akteure in der Inszenierung des Stücks »Stören«, das die junge Regisseurin Suna Gürler in Berlin vorgestellt hat. Sieben Frauen sinnen nach über die Rolle, die ihnen die Gesellschaft aufgezwungen hat, berichten über individuelle Erlebnisse von alltäglichem Sexismus. Am Ende beschließen sie, gesellschaftliche Normen sprengen, sich selbst »anders behandeln« zu wollen. Am Anfang erzählt eine junge Frau, wie sie verschlafen, sich hastig geschminkt hat und in panische Angst geraten ist, gegen die Norm zu verstoßen, die ihr befiehlt, immer gut auszusehen. Plötzlich kommen die Grapsch- und Diebstahlerinnerungen von der Silvesternacht von Köln ins Spiel und danach fließen zahlreiche Beispiele von erlebter Entwürdigung durch Männer - vom Familienvater, der im Hallenbad sein Glied zeigt, bis zum Querschnittsgelähmten, der einer betreuenden Krankenschwester in den Schritt fasst.

In der Szene »Was mich aufregt« kommen zunächst Widerwärtigkeiten des Alltags zur Sprache und später der Protest gegen die schreienden Ungerechtigkeiten des Staats - von der ungleichen Bezahlung für Frauen bis zur ständigen Aberkennung ihrer beruflichen Qualifikation. Dieser Abrechnung folgt die Szene »Meuterei«, in der die junge Soraya beschließt, in die bisher von Männern beherrschten »Systeme« einzudringen mit der Absicht, sie »zu zerstören« und auch die Anderen aufruft, ihre Angst zu überwinden.

Regisseurin Suna Gürler hat versucht, die auf den ersten Blick wenig attraktive Textvorlage anschaulich und sinnlich nachvollziehbar zu erzählen. Choreografierte Gruppenszenen und chorisch gesprochene Passagen wechseln ab mit solistischen Erinnerungsfetzen. Um diesen ständigen Wechsel kunstvoll zu unterbrechen, hat sie nach aussagekräftigen szenischen Erfindungen gesucht.

In der Szene, die vom schamlosen Pinkeln einiger Männer erzählt, gießen die Mitspieler an den beschriebenen Stellen Wasser aus Wasserflaschen von einer Wand herunter auf die Bühne. Wenn es um die Unsicherheit der Mädchen geht, mit ihrem Körper umzugehen, zeichnen sie dessen Umrisse mit einem Stück Kreide auf die Rückwand der Bühne und wenn ein Mädchen von der Angst spricht, eine Mauer zu erklimmen, versucht es den nicht gelingen wollenden Aufstieg wieder und wieder.

Wiederholt arbeitet die Regisseurin mit dem Mittel der zugespitzten rhythmischen Steigerung. Immer genervter und atemloser antworten die Mädchen beim Sicherheitscheck auf Fragen nach vollzogenen Vorsichtsvorkehrungen zum Schutz vor Vergewaltigung mit einem »ja, ja, ja.« Das Problem der Aufführung: Sie ist viel zu laut und mit »geschwollener Stirnader« vorgetragen. Manche chorische und auch persönliche Aussagen sind überschrien und strengen auch den Zuschauer an. Ein Aufatmen bei Momenten der Nachdenklichkeit - so etwa, wenn Sezgi Ceylanoglu noch unsicher und zögernd auf ihr Recht besteht, dick sein zu dürfen.

Nächste Vorstellungen: 23. Oktober, 15. November