Sterben mit Schneewittchen

»Theater der Dinge« an der Schaubude bezaubert mit digitalem und analogem Objekttheater

  • Tom Mustroph
  • Lesedauer: 4 Min.

Sogar Torf kann ein Eigenleben haben. Dann nämlich, wenn der Torf zur Installation von »B« gehört, einem Schneewittchen-Parcours des Schweizer Künstlerduos Trickster. Durch etwa ein Dutzend kleine und kleinste Räume muss man da hindurch. Mal sind sie hell erleuchtet von einem Lüster, mal sehr düster, so dass nur eine Handlampe noch etwas Licht hineinwerfen kann. Umweht wird man in diesen Räumen von Stimmen, die davon erzählen, wie ein Mädchen bedroht wird. Schneewittchen eben; zu schön für die Stiefmutter, und deshalb Leid und Niedertracht ausgesetzt.

Was als braves Märchen noch erinnerlich ist, wird jetzt zu einem kleinen und so charmanten wie streckenweise eben doch aufregenden Horrortrip, der sich über Raumsituationen und Geräusche entfaltet. Der Torf taucht mehrfach auf, ist Materie aus dem Reich der Zwerge und schließlich Unterlage des Totenaltars der Vergifteten. Wie Trickster die bekannte Geschichte in kleinen Assoziationshäppchen inszeniert und dabei die Objekte erzählen lässt, ist kennzeichnend für das erste große Festival der Schaubude unter der Leitung des neuen Chefs Tim Sandweg.

Sandweg will neue Wege einschlagen. Ihn interessiert das Internet der Dinge als Spielraum auch für Puppen- und Objekttheater. »Roboter sind auch nur Puppen«, meint er lakonisch. Und wenn Informationstechnologien jetzt wieder mehr dingliche Qualität bekommen durch Smartphones mit Wischbedienung, durch Sensoren am Körper und in der Wohnung und im Auto (als ersten Alltagsautomaten) sowieso, dann kann, so Sandwegs Überlegung, das Puppen- und Objekttheater im Gegenzug auch etwas digitaler werden. »Digital ist besser« lautet daher der ironische Untertitel des Festivals »Theater der Dinge«. Sandweg hat, bei allen Erneuerungsideen, den durch seine Vorgängerin Silvia Brendenal kreierten Claim »Theater der Dinge« beibehalten. Das ist angenehm; mal ein Intendant, der nicht glaubt, alles umkrempeln zu müssen, nur weil er jetzt den Generalschlüssel am Bund hat.

Das automatische Erzählen über Objekte zieht sich als roter Faden durch das Festival. Im zauberhaften Theaterautomaten von Angelina Kartsaki und Sebastian Schlemminger taucht man per Kopf in eine Minibühne ein, in der sich Scheren, Messer und eine kleine Fräse ganz autonom bewegen und wo die Performer die Gestalt von durch Magneten ins Rollen gebrachte Silberkügelchen annehmen.

Man denkt bei der Performance schon einmal mit großem Schaudern daran, was dereinst im autonomen Haus der ferngesteuerte Kühlschrank so alles mit dem Heizungsthermostat, der Einkaufsapp und dem digitalen Assistenten für die Terminplanung an Unheil anrichten kann.

Dinge, die Sachen erzählen, können auch Fotografien sein. Fast hätte man vergessen, dass eine Fotografie auch ein Objekt ist, mit dinglichen Qualitäten eben und nicht nur der Draufguck-Fläche. Der französische Künstler Yro gibt alten Familienfotos diese Dingqualität zurück, wenn er sie vor seiner zehn Jahre alten - und daher auf romantische Art schlecht auflösenden - Sony-Kamera hin und her bewegt. Der Projektor wirft dann rätselhafte Oberflächenstrukturen an die Wand. Ungewöhnliche Bildausschnitte, mal Mund, mal Auge, mal auch nur ein Pickel oder eine Warze, sind plötzlich skulptural im Raum. Interessant auch, dass man den VJ dabei beobachten kann, wie er bei fest montiertem Kameraauge durch die Bewegung des Fotos den Effekt von Kamerafahrten herstellen kann. Lange Geschichten kann Yro damit zwar nicht erzählen, was den Abend (»Triangles Irascibles«) auch etwas ermüdend geraten lässt. Verblüffende Assoziationen stellen sich dennoch ein.

Das Konzept der Kamerafahrten vervollkommnet schließlich ganz überraschend auf absolut analoge Weise David Espinosa. Mit nur einer Lampe bewaffnet, zaubert er die Schatten von etwa 300 Spielzeugfiguren - King Kong ist darunter, Ritter und Prinzessinnen, Seemänner und Seeungeheuer - an die Wand. Je nach Abstand von Lichtquelle und Objekten werden die Schatten mal größer und mal kleiner, je nach Richtung wechseln sie die Form. Espinosa erzählt mit diesen bewegten Schatten einen Teil der Shakespeare-Dramen. Sein »Much ado about nothing« ist ein königliches Vergnügen. Und das »Theater der Dinge« zeigt ganz allgemein, auf wie viele Arten man aus Dingen Leben ziehen kann. Das Festival geht noch bis Donnerstag und findet in der Schaubude und im Podewil statt.

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