nd-aktuell.de / 04.11.2016 / Kultur / Seite 15

It’s Alive!

Notwist / Booka Shade

Thomas Blum

Kein Mensch braucht Live-Alben, die ja nichts anderes beinhalten als schlechtere Versionen von Musikstücken, die im Studio einst in wochenlanger Arbeit liebevoll zusammengepuzzelt wurden. Naja, die Ramones und ihr zur Jahreswende 1977/78 aufgenommenes wunderbares Doppel-Livealbum »It’s Alive«, das schön dokumentiert, wie man elegant einen Zweiminutensong zu einem Einminüter macht (ihn doppelt so schnell spielen), selbstverständlich ausgenommen. Jedenfalls gibt es nun noch eine weitere akustische Aufzeichnung eines Konzerts, gespielt vergangenes Jahr in Leipzig-Connewitz, bei der das Zuhören lohnt: Die schon nahezu drei Jahrzehnte existierende Indiepopband The Notwist, die ja schon immer eine außergewöhnliche Liveband war, tritt hier den Beweis an, dass die Aufnahme eines Konzerts mehr sein kann als eine uninspirierte und von Publikumsgeräuschen verunreinigte Hit-Compilation. Staunend vernimmt man, wie hier Postrock, Pop, Jazz, Freejazz und diverses Elektrogeräusch wie von Zauberhand gelenkt zu einem warm leuchtenden organischen Ganzen zusammenfließen.

Doch kommen wir noch rasch zu etwas ganz anderem: Als Walter Merziger und Arno Kammermeier noch klein waren, in ihrer Jugend, haben sie gewiss gern die frühen Platten von Depeche Mode gehört. Heute, über 30 Jahre später, remixen sie Tracks von Depeche Mode oder Moby.

Zehn Jahre ist es nun her, dass das hörbar vom Elektropop der frühen 80er Jahre, also vom Frühwerk von Depeche Mode und New Order beeinflusste Berliner House- und Techno-Duo Booka Shade mit seinem Album »Movements« internationale Anerkennung bekam: ein Album, auf das sich seinerzeit die Wochenendfeiermeute, die die Bässe knallen hören wollte, genauso einigen konnte wie der blasierte Popfachzeitschriftenleser, der in seinem Freundinnen- und Freundeskreis über abstrakte Beats und elegant schnalzende Grooves dozieren wollte. Es beinhaltete Stücke, zu denen die Provinzjugend in der sogenannten Großraumdiscothek hospitalistisch hin- und herwackeln konnte, aber auch solche, die den Experten und Eierköpfen ein anerkennendes Nicken entlockten: »Das ist doch mal eine hübsch verquere 70er-Jahre-Funk-Imitation!«, sagten die dann etwa. Oder: »Ein experimentell angelegter Minimaltechnotrack, wie ihn Pan Sonic gewiss so nicht hinbekämen.« Der unvergessene House-Klassiker »In White Rooms« gab einem etwa das Gefühl, dass man sich sanft und geschmeidig bewegte, selbst wenn man tatsächlich in totaler Regungslosigkeit verharrte. Nun, anlässlich des Jubiläums seines Erscheinens, gibt’s das Werk als Neuauflage, inklusive zehn »exklusiver Remixe«.

The Notwist: »Superheroes, Ghostvillains + Stuff« (Alien Transistor) Booka Shade: »Movements 10« (Blaufield/Rough Trade) Booka Shade (4.11.) als auch The Notwist (6.11.) spielen dieser Tage Konzerte in Berlin.