nd-aktuell.de / 06.11.2016 / Politik

Plattform-Kapitalismus

Smarte Worte 15: Plattformen stellen eine virtuelle Infrastruktur zur Verfügung, auf der zwischen Dritten vermittelt wird - und sie sind immer mächtiger

Plattformen sind proprietäre Anwendungen oder Online-Angebote, die meist kostenlos eine Dienstleistung anbieten. Die Plattformen stellen eine virtuelle Infrastruktur zur Verfügung, auf der zwischen Dritten vermittelt wird. Der englische Begriff platform kommt aus der Software-Entwicklung und bezeichnet dort eine Grund-Technologie, auf der dann bestimmte Dienste aufbauen.

Das weltweit größte Taxi-Unternehmen besitzt keine Taxis (Uber), der weltweit größte Vermittler von Übernachtungen besitzt keinerlei Immobilien (AirBnB), und die das Internet dominierenden Medien-Konzerne (Google, Facebook) stellen selbst keine Medien ins Netz. Allen diesen Unternehmen ist gemeinsam, dass sie lediglich die Plattform zur Verfügung stellen, auf der die User kommunizieren, Geschäfte abschließen, etwa Taxifahrten oder Übernachtungen buchen. Die Unternehmen selbst sind nicht für die Inhalte verantwortlich, beherrschen aber die Form.

Oft wirken sie sich disruptiv auf bestehende Branchen aus, weil sie schnell und günstig, einen privaten, viel weiter gefassten Markt bedienen oder diesen erst kreieren. Sie stoßen nicht selten in unbekanntes und nicht reguliertes Terrain vor, setzen damit eigene Standards oder umgehen bestehende gesetzliche Regelungen. Diese werden ersetzt durch ein System gegenseitiger Bewertungen aller Beteiligten und ein disziplinierender Feedback-Loop entsteht.

Alle Plattformen behalten sich vor, jederzeit die Spielregeln zu verändern, wie Bezahlmodelle oder Änderungen der Privatsphäre-Einstellungen. Ihnen gegenüber stehen die einzelnen NutzerInnen, die keinerlei Einfluss auf das Gesamtsystem haben. Dadurch entsteht Plattform-Kapitalismus in Reinform.

Durch den Netzwerkeffekt, bei dem der Nutzen eines Gutes mit steigender NutzerInnenzahl zunimmt, erzielen sie rasch eine Monopolstellung. Solche Effekte treten insbesondere bei Internetplattformen auf, z.B. bei Social Media-Plattformen oder Auktionshäusern. Der Netzwerkeffekt, der zur Herausbildung von Monopolen führt, ist auch ökonomisch spürbar. So entfallen etwa 70 Prozent des Umsatzes von 300 Milliarden Dollar, den alle börsennotierten US-Internetfirmen zuletzt gemacht haben, auf gerade einmal fünf Firmen. 57 Prozent der Erlöse flossen allein in die Kassen von Amazon und Alphabet (Google).

Das Paradebeispiel für eine Plattform ist Google: Die Websuchmaschine Google stellt selbst keine Inhalte ins Netz, sie vermittelt lediglich zwischen Website-Betreibern und deren Besucherinnen und Besuchern. Diese Kernfunktion führt ein Algorithmus aus, keine Beschäftigten. Nicht nur skaliert der Algorithmus besser, er ist auch viel billiger als menschliche Arbeitskraft. Die eigentliche Arbeit machen in Googles Modell nicht Angestellte der Firma, sondern das Publikum, die KundInnen und NutzerInnen selbst – die dafür keinerlei Bezahlung erhalten.

Jaron Lanier nennt diese Plattformen - angelehnt an Homers Odyssee »Sirenen-Server«. Sie locken NutzerInnen mit kostenlosen Services an, lassen sie dann aber nie mehr aus der Umklammerung los. Die Sirenen waren erfolgreich, sobald ein Wechsel nicht mehr möglich ist, sei es aus Mangel an Alternativen, weil zu kostspielig oder weil schlicht alle beim Anbieter gelandet sind: Microsoft, Google, Facebook.

Der Plattform-Kapitalismus kommt für die Inhalte, die von ihm angeboten werden, weitgehend ohne ArbeiterInnen aus: Bei Facebook, Pinterest, Google gibt es Niemanden, der Beiträge erstellt, Fotos hoch lädt oder Suchanfragen bearbeitet. Alle Aktionen und Inhalte, von denen sich diese Plattformen nähren, entstehen einzig und allein durch das Verhalten der NutzerInnen. (td)

Zum Weiterlesen

Lanier Jaron: Who Owns the Future? London 2013. Deutsch: Wem gehört die Zukunft? Hamburg 2013
Sangeet Paul Choudary[1], Marshall W. Van Alstyne[2], Geoffrey G. Parker[3]: Platform Revolution: How Networked Markets are Transforming the Economy, New York 2016
Sascha Lobo: S.P.O.N. - Die Mensch-Maschine: Auf dem Weg in die Dumpinghölle[4]

Links:

  1. http://books.wwnorton.com/books/Author.aspx?id=4294989882
  2. http://books.wwnorton.com/books/Author.aspx?id=4294989881
  3. http://books.wwnorton.com/books/Author.aspx?id=4294989880
  4. http://www.spiegel.de/netzwelt/netzpolitik/sascha-lobo-sharing-economy-wie-bei-uber-ist-plattform-kapitalismus-a-989584.html