Auf dem Rummelplatz der Verschwörungen

Halbwahrheiten, Lügen, Verleumdungen - eine ganz normale Wahlkampfveranstaltung Donald Trumps in Ohio

Die riesigen Maisfelder sind abgeerntet und niedergemäht. So sind die Häuser der Farmer, zu denen vom Highway immer eine kleine hübsche Allee führt, schon von Weitem erkennbar. Jedes sieht irgendwie gleich aus. Der Rasen rund herum ist penibel gleichmäßig kurz geschoren, dahinter steht der Pick-up-Truck, und über der Veranda vorn schwingt die Hollywoodschaukel. Dieses Abziehbild des ländlichen Amerika ist hier in Clinton County im Bundesstaat Ohio noch zu bewundern.

Obwohl der Name etwas anderes vermuten lässt, ist dieser Landkreis Trump-Gebiet. Trotz der oberflächlichen Idylle sind in Gegenden wie Clinton County die zornigsten Amerikaner zu finden. Vor 100 Jahren lebte noch mehr als die Hälfte aller US-Bürger auf dem Land, mittlerweile sind es keine 20 Prozent mehr. Politiker konzentrieren ihre Arbeit und Ressourcen längst auf die Städte und deren Randgebiete, und so platzt an diesen schönen Häusern hier langsam die Farbe ab. Den Schein der Idylle zu wahren, wird immer schwieriger.

Clinton County hat einen Flughafen nahe der Stadt Wilmington - groß genug, um Donald Trumps private Boeing 757 hier landen zu lassen. Da Ohio einer der Staaten ist, in denen es bei den Präsidentschaftswahlen wohl knapp wird, legt Trump wenige Tage vor dem Urnengang am Dienstag hier einen Zwischenstopp ein.

Knapp 3000 Trump-Fans füllen den riesigen Hangar zur Hälfte. Unter ihnen ist nicht ein Afroamerikaner zu sehen. Hier sind alle weiß - mit Ausnahme von fünf Souvenirverkäufern draußen vor dem Eingang und zwei schwarzen Frauen, die Trump auf der Bühne ankündigen: Lynnette Hardaway and Rochelle Richardson, zwei Schwestern, die auf YouTube als »Diamond & Silk« bekannt sind. Trump ist so glücklich, dass er wenigstens zwei D-Promis gefunden hat, die sowohl schwarz als auch weiblich sind, dass er sie gleich mit auf Tour genommen hat. Die beiden brüllen ins Mikro, dass es bei dieser Wahl um Inhalte gehe und nicht darum, die erste Frau ins Weiße Haus zu wählen. »Wir brauchen keine Ovarien im Oval Office. Wir brauchen jemanden, der die Eier hat, die Mauer zu bauen.« Solche Sätze lieben die Leute in Wilmington.

Dann öffnet sich das knapp 80 Meter breite und 20 Meter hohe Hangartor, und kurz darauf landet Trumps Maschine. Der Fernsehstar weiß, wie man einen Auftritt zelebriert. Fürs europäische Auge wirkt das großkotzig, in Wilmington wird Reichtum noch mit Erfolg gleichgesetzt und bewundert. Sodann stellt sich Trump ans Pult und beginnt seine Rede. Vor ein paar Monaten hatte er seine Kontrahentin noch dafür gescholten, dass sie vom Teleprompter ablese. Heute nutzt er die Lesehilfe selbst. Seine Berater haben ihn dazu verdonnert, weil er ohne Skript ständig in neue Fettnäpfchen trat.

Was er nun in Wilmington erzählt, wäre für andere Kandidaten immer noch eine Aneinanderreihung von Fettnäpfchen, doch von Trump ist man Schlimmeres gewohnt. So erzählt er eine Lüge nach der anderen, auch wenn die oft schon hundertfach widerlegt worden sind. »Das FBI hat gesagt, dass es kurz davor ist, Hillary anzuklagen«, ist die erste. Bret Baier, ein Journalist des erzkonservativen Senders Fox News hatte zwei Tage zuvor davon berichtet - und war gezwungen, die Aussage 24 Stunden später als »Fehler« zurückzunehmen. Trump wiederholt sie trotzdem, denn sie ist der perfekte Übergang in den Lieblingsslogan seiner Anhänger: »Lock her up!«, rufen sie immer wieder. »Sperrt sie ein!«

Trump spricht von angeblichem Geheimnisverrat, als Clinton ihre E-Mails über ihren Privatserver laufen ließ. Und seine Anhänger gehen noch weiter. »Sie muss hinter Gitter, weil sie eine Pädophile ist. Das steht alles im Internet. Die Wahrheit ist da, du musst nur nach ihr suchen«, sagt eine Frau, die ihren Namen nicht nennen will. Sie trägt ein »Lock her up«-Shirt und bezeichnet sich als Teil der »stummen Mehrheit«: Menschen, die ihre Informationen aus meist rassistischen Verschwörungsblogs ziehen und bis vor Kurzem am liebsten in der Anonymität des Netzes unterwegs waren. Trump hat ihnen ein Forum in der realen Welt gegeben, und sie merken nun, wie viele von ihnen ähnlich denken. Sie sind davon überzeugt, dass Präsident Barack Obama ein schwuler Muslim aus Kenia ist und seine Frau Michelle ein Transsexueller.

So etwas lässt sich leichter öffentlich behaupten, wenn auch der Präsidentschaftskandidat vorn auf der Bühne auf die Wahrheit pfeift. Nun zählt Trump all die Unternehmen auf, die Arbeitsplätze in Billiglohnländer verlegt haben. »Mexiko bekommt unser Geld und unsere Jobs und wir seine Drogen und Kriminellen. Ich sorge dafür, dass das aufhört«, verspricht er. Dass Trump selbst Krawatten in China, Hemden in Bangladesh sowie Anzüge in Mexiko und Indien produzieren lässt, sagt er nicht. Er redet lieber vom größten Jobdiebstahl in der Geschichte. Dabei gab es seit September 2010 nicht einen Monat, in dem die US-Wirtschaft unterm Strich Arbeitsplätze verloren hätte. Vielmehr entstanden seitdem mehr als 15 Millionen Jobs, nur eben kaum welche in Gegenden wie Clinton County.

Weitere Unwahrheiten über die angeblich höchste Steuerbelastung der Welt, kriminelle Einwanderer, den »erfundenen« Klimawandel und die von Hillary Clinton verursachte Entstehung des »Islamischen Staates« folgen. Die Zuhörer saugen alles auf. »Stimmt genau«, rufen sie und: »Obama ist ein Idiot.«

Der 18-jährige Joe wird Trump wählen, damit sein Vater seine Pistole behalten kann: »Hillary will den zweiten Verfassungszusatz streichen und uns die Waffen wegnehmen. Das hat Trump gesagt.« Clinton hat dem zwar immer widersprochen, aber Joe traut ihr nicht über den Weg. Sie sei eben eine von diese reichen Eliten aus New York.

Nach 45 Minuten ist alles vorbei. Trump geht die Gangway seines Flugzeugs wieder hinauf, winkt seinen Jüngern noch mal zu und fliegt nach Hause - ins Penthouse seines Wolkenkratzers in New York City.

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