Wahlprognosen im Minutentakt

Ein US-Magazin will erstmals schon während der laufenden Abstimmung Trends an den Wahlurnen veröffentlichen

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 3 Min.

Wer sich bei früheren US-Präsidentschaftswahlen über den möglichen Ausgang der Abstimmung informieren wollte, musste sich bisher genauso in Geduld üben, wie man es aus Ländern wie Großbritannien oder Deutschland kennt: Erste Prognosen werden von den großen Medien in Zusammenarbeit mit Umfrageinstituten erst dann veröffentlich, wenn keine Gefahr mehr besteht, dass eine Herausgabe einen Einfluss auf das Wahlergebnis haben könnte. Auch deshalb ist die verfrühte Veröffentlichung hierzulande verboten.

Anders dagegen in den USA: Rein rechtlich ist kein Medienunternehmen zur Zurückhaltung verpflichtet, doch bisher hatten sich alle an den ungeschriebenen Kodex gehalten, die Ergebnisse aus den Nachwahlbefragungen (»Exit Polls«) zumindest bis zur Schließung der Lokale im jeweiligen Bundesstaat zu unterlassen. Zuständig für die Erhebung im Auftrag der großen TV-Sender ABC, APTN, CBS, CNN, Fox News sowie NBC ist der gemeinsame National Election Pool (NEP). Das Prozedere ist mit dem in Deutschland vergleichbar: Im Auftrag von NEP schickt das Umfrageinstitut Edison Research seine Mitarbeiter in die einzelnen Wahlbezirke, wo dann eine vorher festgelegte Zahl an Abstimmenden einen Fragenkatalog beantwortet. Je nach TV-Sender kann die Zahl der Befragten sowie die Anzahl der Fragen variieren, weshalb letztlich jedem Medium leicht unterschiedliche Prognosen zur Verfügung stehen.

Doch zu dieser Wahl schert ein US-Medium erstmals aus: Das Onlinemagazin Slate.com hat angekündigt, in einer zehnstündigen Liveberichterstattung bereits vor Schließung der Wahllokale Prognosen aus den umkämpfen »Swing States« Florida, North Carolina, Colorado und Nevada zu veröffentlichen. Etwas reißerisch heißt es in einer Ankündigung, man wolle von »Minute zu Minute« neue Zahlen liefern.

Chefredakteurin Julia Turner begründete das Projekt damit, die Rolle von Journalisten bestehe nicht darin, Informationen zurückzuhalten, sondern diese zu veröffentlichen. Bisher gebe es keine wissenschaftlichen Hinweise, wonach eine Vorabveröffentlichung »konsistente Folgen« habe. Um das Projekt zu stemmen, arbeitet Slate.com mit dem erst 2016 gegründeten Unternehmen Votecastr zusammen, dessen Gründung zum Zweck der Liveberichterstattung zu den Präsidentschaftswahlen erfolgte. Mit im Boot sind nach Aussagen von Slate auch frühere Mitarbeiter der Wahlkampfteams von George W. Bush sowie von Barack Obama.

Auf die Daten des NEP kann Votecastr bei seinen Prognosen nicht zurückgreifen, eigene »Exit Polls« führt das Unternehmen im klassischen Sinne ebenfalls nicht durch. Stattdessen behilft sich Votecastr mit einer Methode, wie sie auch von Demokraten und Republikanern angewandt wird, um bei der Abstimmung wirklich jeden registrierten Wähler zu mobilisieren. Zu diesem Zweck beginnt die eigentliche Arbeit bereits einige Tage vor dem 8. November. Dafür wird in Befragungen ermittelt, wer tatsächlich vor hat, am Wahltag seine Stimme für welchen Kandidaten abzugeben. Während der eigentlichen Abstimmung ermitteln Mitarbeiter von Votecastr dann nur noch, wie viele Menschen tatsächlich in die einzelnen Wahllokale strömen und errechnen daraus in Verbindung mit den zuvor erhobenen Wahlabsichtserklärungen eine sich permanent verändernde aktuelle Prognose. Angeblich, sei diese Methode effektiver als »Exit Polls«.

Slate.com beteuert, man wolle durch die Erhebung keinesfalls einen vorzeitigen Sieger verkünden, sondern lediglich einen Trend abbilden. Ob solch ein andauernder Zahlenfluss einen Einfluss hat, wird sich zeigen.

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