nd-aktuell.de / 09.11.2016 / Kultur / Seite 12

Tristesse und Terror

In seinem Dokumentarfilm »Das Gelände« zeigt Martin Gressmann die Entwicklung des Prinz-Albrecht-Areals

Caroline M. Buck

Am Anfang steht ein wilder kleiner Wald an dem Ort, wo früher die Gestapo hauste, an dem das Reichssicherheitshauptamt untergebracht war und der Sicherheitsdienst von Heidrichs SS. Ungeplanter Wildwuchs in einer großstädtischen Teilrandlage, darunter verschüttet: die Spuren des Terrors. Am Ende des Films, in den Jahren 2010 und folgenden, ist das Wäldchen weg, ist von organisch wuchernder Unordnung keine Spur geblieben. Stattdessen herrscht jetzt wieder Ordnung mitten in der Stadt. Gerade Wege, neue Bäumchen in Stützgerüsten, Schotter zwischen Asphaltstrecken, Gedenken auf Schrifttafeln und drum herum viel Freiraum für die Besucher. »Das Gelände« heißt heute »Topographie des Terrors«.

Wie (und warum) es dazu kam, zeigt Gressmanns Film, eine Langzeitbeobachtung in wohltuend essayistischer Form. Er zeigt auch, dass man wohl schon froh sein muss, dass überhaupt an die Täter erinnert wird, so wie man anderswo der Opfer gedenkt. Wenn auch in einer keimfrei bereinigten Weise, die die historischen Spuren der Vergangenheit eher verschüttet, als bewahrt.

Als der Kameramann und Filmemacher Martin Gressmann mit dem Filmen rund um die einstige Prinz-Albrecht-Straße begann, drei Jahre vor dem Mauerfall, war das Gelände an der heutigen Käthe-Niederkirchner-Straße eine Brache. Das Prinz-Albrecht-Palais war lange abgerissen, der Preußische Landtag Teil des DDR-Hauses der Ministerien, der Martin-Gropius-Bau lag auf der Westseite hart an der Mauer. Bauschutt bildete Halden auf dem einstigen Gestapo-Gelände, auf denen Kinder im Winter Rodeln gingen - bis besser informierte Mitbürger den Eltern der Kinder nahebrachten, dass dies vielleicht der Ort dafür nicht sei. Da hatte dann auch das Rodeln ein Ende.

Gressmann war Neubürger in Berlin. Von seiner Berliner Großmutter hatte er gehört, dass man in Nazideutschland die Prinz-Albrecht-Straße lieber gemieden hatte. Also ging er hin, sich das mal anzusehen. Und fand: das Wäldchen. Ein inoffizielles Führerscheinübungsgelände, eine Abkürzung für wagemutige Fahrradfahrer von einem Stadtteil in den nächsten. Und eine Eckkneipe. Erste Ausgrabungen fanden statt, Mitte der 80er Jahre noch als private Initiative politisch interessierter Bürger, später auch in offiziellem Auftrag. Und irgendwann war mit dem Graben wieder Schluss. Zu früh, wie so oft in solchen Fällen. Dann kam die nächste Bebauung - statt der temporären nun eine dauerhafte Ausstellung zur »Topographie des Terrors«.

Gressmanns Kamera schweift durch die umgebenden Straßen, fängt winterliche Stimmung ein, eine beinahe kleinstädtische Tristesse, später dann Souvenirhändler, kommentierte Busstouren, Ballonflüge mit Blick auf Berlin. Und in Museen und Auktionshäusern Gemälde vom Zustand vor dem Sündenfall, als auf dem Gelände noch Palais und Landschaftsgarten standen. Zwischentexte vermerken lakonisch die Zimmerpreise in den Nachwende-Hotelneugründungen in der Nähe. Tom Cruise dreht in der Gegend seinen Stauffenberg-Film, aber ein erster, architektonisch ambitionierter Versuch zur Mahn- und Denkmalsbildung wird wieder zurückgebaut, weil die Stadt sich die steigenden Kosten nicht leisten kann. Der Kran zum Aufstellen der Zumthor-Stelen, blitzblank, grellgelb, ganz neu noch, der nun überflüssig wird und den man deshalb krachend zu Fall bringt, macht das Ausmaß der Verschwendung auch physisch erfahrbar.

Während all das auf der Bildebene stattfindet, erklärt auf der Tonspur eine Stadtökologin die Pflanzen, die sich in dem Wäldchen fanden, und die Tauben, die sich auf dem teilgebauten Zumthor-Mahnmal sammeln. Historiker ordnen die historische Bedeutung des Geländes ein und erzählen, wer genau dort arbeitete und warum. Gressmann schreibt in Gedanken immer noch Briefe an seine Großmutter, die diese lange nicht mehr lesen kann. Ein Historiker erzählt von der Musik, die aus einem Tanzcafé zu den Häftlingen in den Gestapo-Kellern rüberschallte. Jemand nennt die Folterkeller einen Mythos. Jemand anders sagt, sie hätten nicht umsonst in der Mitte der Stadt gelegen, ganz unverfroren nah an Wilhelmstraße und Anhalter Bahnhof, mittenmang. Denn was nützt die beste Folterkammer, wenn niemand weiß, dass es sie gibt? Erst der Terror in den Köpfen macht weiteren Terror auf den Straßen unnötig.

Vorführungen: City Kino (Wedding): 9.11., 19 Uhr / 13.11., 18.15 Uhr; fsk (Kreuzberg): 13.11., 11.30 Uhr