nd-aktuell.de / 11.11.2016 / Kultur / Seite 15

Wir haben dicke Eier!

Nach 12 Jahren veröffentlichen die Böhsen Onkelz ein neues Album / Es ist wie die vorherigen

Nicolai Hagedorn

Ja, das sind gut arrangierte Songs, die Musiker beherrschen ihre Instrumente, kompositorisch ist ebenfalls wenig zu beanstanden, die Produktion stadiontauglich. Mit balladesken, sehr poppigen Hymnen wie «Wo auch immer wir stehen» oder «Mach’s Dir selbst» («In uns steckt eine Welt/ hört alle her/ Da ist das Leben, da ist mehr») klingen die Böhsen Onkelz zwar ein bisschen wie auf hart getrimmte Enkel aus Purs Abenteuerland, aber sonst: solider Rock mit den üblichen Anleihen aus Punk und Metal, nichts Besonderes, nichts Neues, aber auch nichts Schlechtes, sogar einige Highlights wie «Der Junge mit dem Schwefelholz» - jeder, der einmal einige Onkelz-Songs gehört hat, kennt das alles zur Genüge.

Und spätestens nach dem Statement des Bandtexters Stephan Weidner zur Flüchtlingsdebatte («Es spielt keine Rolle, warum Menschen ihre Heimat, ihre sozialen Strukturen, ihre Familien verlassen und sich auf einen schmerzhaften und aberwitzig gefährlichen Weg machen: Am Ende der Reise sollte sie eine helfende Hand und keine hassverzerrte Fratze erwarten. Was ihr uns jetzt auf meine Seite kotzt, ist mir scheißegal. Es interessiert mich nicht, welche Argumente ihr gegen Flüchtlinge oder ›Gutmenschen‹ vorbringt, denn es gibt keine») wird man der Band bis auf Weiteres auch kaum das Schüren von Fremdenfeindlichkeit vorwerfen können.

Das Problem mit den Onkelz ist auch auf dem aktuellen Album der übliche textliche Gagaismus, der gar nicht anders kann als auf dicke Hose zu machen, weil er sonst zu wenig kann. So brüllen die Herren noch in ihren Fünfzigern gleichsam unentwegt «Wir haben so unheimlich dicke Eier!» und sie sprechen damit ein vorwiegend männliches Publikum an, dessen Angehörige jeden Tag neu vor dem Rätsel stehen, warum ihre dicken Eier in dieser «linksversifften Welt» niemanden mehr interessieren und sie trotz jener sich als Verlierer fühlen müssen.

Für mehr als aggressiv-larmoyantes Aufrufen der immergleichen Emotionen reicht das poetische Talent nicht, was immer dann besonders deutlich wird, wenn die Band versucht, den ewigen Trott der Selbstbehudelung zu verlassen und sich Themen wie Kapitalismus- oder Konsumkritik vorzunehmen. Sprache und Denken sind mit Komplexitäten dieser Art dann schon überfordert: «Ein elitärer Kreis/ Erbarmungsloser Wesen/ Pisst uns in die Tasche/ Und erzählt uns dass es regnet». Ob er will oder nicht, damit findet Weidner sich mit seinen Onkelz exakt in der Gesellschaft wieder, von der sie sich sonst ja durchaus glaubhaft distanzieren. Da ist es nicht weit zu Reptilienmenschen und dem Kopp-Verlag.

Die Onkelz und ihre Fans sind aneinander gekettet und verdammt zum dauernden gemeinsamen Drohen («Bevor wir eure Füße küssen/ Werd’n wir sie euch brechen»), Beschimpfen (Das alte war ein böses Jahr/ Es gibt kein nächstes Mal/ Ich lass' dir eine Blume da/ Du Arschloch, du kannst mich mal«), Weinen (»Und ist das Leben noch so hart/ Wir sind füreinander da«) - gewissermaßen bis in alle Ewigkeit. Ein Grund zur Aufregung ist das alles aber lange nicht mehr.

Böhse Onkelz: »Memento«