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Falls die Ziege gemolken wird

Freitags Wochentipp: »Zielfahnder: Flucht in die Karpaten« von Dominik Graf

  • Jan Freitag
  • Lesedauer: 3 Min.

Das also war die Woche, in der ein ungewöhnlicher Freak mit maximaler Außenwirkung alle Medienkanäle durchlief. Ein Sonderfall unserer überhitzten Aufmerksamkeitsindustrie, die es trotz allen Unsinns seiner Thesen zu einer Aufmerksamkeit bringt, die sich Argumente vergebens wünscht. Ach ja, und es war natürlich auch die Woche von Donald Trump, der gleich nach dem absurden Auftritt einer Muslima namens Illis bei Anne Will die Schlagzeilen dominierte - wenngleich ein paar Tage länger und globaler als die vollverschleierte Schweizerin, der ein latent islamophober Boulevard flugs den Kampfnamen Niqab-Nora gab.

Aus der Kanalisation menschlicher Vernunftbegabung folgt uns die irre IS-Apologetin von gestern ebenso wie der kaum weniger zurechnungsfähige US-Präsident von morgen in die anbrechende Woche, was die dritte Topnews der vergangenen Medientage fast untergehen ließ: Ulrich Meyer gibt die Moderation von »Akte« ab, der er gut 1000 Folgen sein erstaunlich alterungsresistentes Gesicht lieh. Viel weniger Blut, Schweiß und Tränen dürfte das Format indes auch unter der Leitung des früheren »BamS«-Chefs Claus Strunz kaum absondern. Mit Scheinintellektuellen die Illusion von Seriosität zu erzeugen, das war schließlich schon immer eine Kernkompetenz des ehemaligen Kanzlersenders.

Wer umgekehrt die Illusion von Profanität mit Scheinplebejern mag, sollte zwingend kommenden Samstag um 20.15 Uhr das Erste einschalten. Dort nämlich beackert der Großintellektuelle des deutschen Fernsehfilms - Dominik Graf - das Feld größtmöglicher Massentauglichkeit - den Krimi - mal wieder auf herausragende Art und Weise. Wie bereits in seiner umjubelten (aber bezüglich der Quote erfolglosen) Serie »Im Angesicht des Verbrechens« macht der Regisseur nach Rolf Basedows brillanten Buch seine Lieblingsdarsteller Ronald Zehrfeld, Ulrike C. Tscharre und Arved Birnbaum zu Bullen. Und auch diesmal sind sie in Osteuropa unterwegs, hier jedoch als - so der Titel - »Zielfahnder« auf einer verworrenen Jagd nach einem gefährlichen Haftflüchtling in dessen rumänischer Heimat.

Weil ein Adliger noch immer Privilegien genießt, geht es dabei von der 1. bis zur 112. statt wie branchenüblich bloß 90. Minute hochspannend zu, ohne je effekthascherisch zu sein. Grund dafür ist Grafs Marotte, fast schon ein Manierismus, Wichtiges in Zappelschnitten abzuhandeln, während Alexander Fischerkoesens Kamera oft minutenlang bei scheinbar Beiläufigem verharrt. Wenn der Regisseur etwa die Schilderung des Gesuchten und der Begleitumstände seiner Flucht in rasender Abfolge übereinanderschichtet, hängt das Bild oft förmlich fest, falls landestypisch geheiratet oder die Ziege gemolken wird.

Diese Unwucht zugunsten der Charakterzeichnung sorgt erneut dafür, dass ein Graf-Film bis ins verstörende Finale nahezu jede Konvention bricht und damit meist mehr Fragen stellt als Antworten gibt. Anspruchsvoller kann Fernsehen kaum sein. Und Krimi schon gar nicht.

ARD, 19.11., 20.15 Uhr

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