nd-aktuell.de / 17.11.2016 / Kultur / Seite 16

Die Liebe und die NSA

Zora del Buono: Eine fünfzigjährige Dozentin und ein junger Student - diskretes Augenzwinkern, ohne Ernst zu verhehlen

Harald Loch

Der Titel dieses kleinen Romans kitzelt die Phantasie der begierigen Leserschaft in eine erotische Richtung. Könnte ja sein, dass er das heimliche Stelldichein in der ungewöhnlichen Beziehung zwischen der fünfzigjährigen Vita Ostan und ihrem gut zwanzigjährigen Geliebten Zev beschreibt. Um die Liebe der älteren Dozentin zu ihrem blutjungen Studenten geht es in dem neuen Buch der Berlinerin aus Zürich, Zora del Buono. Oder geht es um etwas ganz anderes. Etwa um Snowden, um die NSA, um Angela Merkel?

Alles spielt während eines Sommerkurses an einem Ostküsten-College. Amerikanische Studenten lernen eine Fremdsprache. Zu den Regeln des Lehrgangs gehört das Verbot der Benutzung der englischen Muttersprache. In Vitas Kurs, den sie schon wiederholt in vergangenen Sommern gehalten hat, wird also nur Deutsch gesprochen. Das so überaus korrekte Diskriminierungsverbot der Vereinigen Staaten verbietet es geradezu zu erwähnen, dass Zev, der jüngste Teilnehmer, Jude ist. Es verbietet auch die Nachfrage nach der sexuellen Orientierung. Und das deutsche Recht auf Schutz der persönlichen Privatsphäre verbietet es dem Staat, in diese Sphäre hineinzuhorchen, zu spionieren. Aber daran stößt sich die National Security Agency der USA nicht. Die NSA hat massiv deutsche Staatsbürger, u.a. die Bundeskanzlerin, abgehört. Der Whistleblower Snowden hat alles in die Welt hinausposaunt. Die Nachrichten von dem inzwischen in Moskau Gelandeten platzen in Vitas Kurs. »Ein Held«, findet Zev, »ein Verräter« finden die meisten anderen.

Vita imponiert Zevs Haltung. Er ist mutig, stellt sich gegen die Mehrheit, steht ihrer Meinung nach auf der richtigen Seite, und sie gerät selbst in die Fänge der Behörden. Der Widerspruch zwischen den freiheitlichen Verfassungsgarantien und der Überwachung jenseits der Legalität wird ihr immer bewusster. Parallel dazu wächst aus ihrer Bewunderung eine kaum eingestandene Liebe zu Zev. Er ist nicht einmal halb so alt wie sie, sagt einmal etwas wie »Mutter-Sohn-Verhältnis«, was sie tief kränkt. Sie entdeckt Funken von Eifersucht, wenn Zev mit jungen Kursteilnehmerinnen tanzt. Das alles vor dem Hintergrund der strengen Gender-Regeln an amerikanischen Colleges!

Nicht leicht ist das alles zusammenzuhalten, zu problematisieren und auf 170 Seiten nicht nur anzudeuten, sondern als Themen auch durchzuführen. Zora del Buono gelingt das ganz unaufgeregt, als wäre es das Normalste der Welt, eine solche, auf dem Kopf stehende Liebesbeziehung zu entwickeln. Sie bremst das radikale demokratische Temperament von Zev nicht aus, schreibt aber selbst nicht mit Schaum vor dem Mund, wenn sie alle 20 Seiten eine Meldung wie von dpa zur Snowden-Affäre einblendet. Die College-Atmosphäre gibt den beiden Strängen Halt. In ihr entwickeln sich kleine poetische Szenen, in ihr finden Heimlichkeiten statt. Hier löst sich auch der Titel des Romans als eine politische Anklage auf.

Die Autorin zwinkert diskret mit den Augen und lässt den Ernst der Dinge in einem literarisch aufgehellten Licht erscheinen. Das Ganze ist ein kleiner, leichter Roman mit viel Stoff zum Nachdenken: voller Protest gegen die Entwicklungen im Staat und voller Hoffnung auf die Möglichkeiten einer »unmöglichen« Liebe.

Zora del Buono: Hinter Büschen, an eine Hauswand gelehnt[1] Roman. C.H.Beck. 174 S., geb., 18,95 €.

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