nd-aktuell.de / 18.11.2016 / Kultur / Seite 15

Flokatiteppich

Kitschpop/Volksmusik

Thomas Blum

Kann sich noch jemand an Nouvelle Vague erinnern? Zwölf Jahre ist es her, dass das französische Bandprojekt, das sich darauf verlegt hat, Coverversionen populärer alter Punkrock- und New-Wave-Klassiker zu dekonstruieren bzw. umzumodellieren, seine ersten Erfolge feierte. Die Songs erkannte man sofort wieder. Nur fehlten plötzlich das rasant polternde Schlagzeug und die röhrenden Gitarren, die irritierenderweise durch Marimbas und Rumba-Rasseln ersetzt worden waren. Songs wie »Teenage Kicks« von den Undertones oder »Too drunk to fuck« von den Dead Kennedys hatte man derart umarrangiert, dass aus den vormals eher rustikalen Gitarrenrock-Kloppern flauschig-kuschelweiche Schmusesongs wurden, die man, am Strand verträumt in den blauen Himmel blickend oder sich wohlig auf dem heimischen Flokatiteppich räkelnd, sich wie eine Art akustische Zuckerwatte einverleiben konnte. Aus Musik, die einst auch die Aufmüpfigkeit einer bitter enttäuschten und zornigen Adoleszenz repräsentierte, war die passende Klangtapete zum Nachmittagscocktail auf der Veranda geworden. Die Postmoderne hatte mit voller Wucht zugeschlagen und gezeigt, dass die Kulturindustrie keine Pause macht. An dem charmanten Konzept der Franzosen - Klauen alter Punk- und Postpunk-Gassenhauer und deren geschicktes Umarbeiten zu luftig-leichten Edelkitsch-Bossa-Nova-Schlagern - war im Grunde nichts falsch: Man huldigte Bands wie The Clash oder The Cure für ihre Verdienste, und gleichzeitig ärgerte und verstörte man dabei die alten Punk-Puristen, die ihre geliebten Originale von ein paar französischen Easy-Listening-Schnöseln verunstaltet und geschändet sahen. Nur: An dem Konzept haben Nouvelle Vague in den vergangenen zehn Jahren nichts geändert. Auch auf dem neuen Album hören wir die üblichen Gastsängerinnen mit zarten Stimmen alte Punkrock-Weisen hauchen. Erstmals sind auch ein paar Eigenkompositionen zu hören, entspannte Pop-Chansons, akustische Gitarre, Vogelgezwitscher und sanftes Meeresrauschen. Musik also für Leute, die gepunktete 60er-Jahre-Blusen tragen und gern duftende Schaumbäder nehmen.

Jetzt noch was ganz anderes: Die in Oberammergau beheimatete Gruppe Kofelgschroa, sozusagen die etwas verspätete bayerische Antwort auf Syd Barrett und die 13th Floor Elevators, ist sehr gut! Sie spielt einen skurrilen Free Folk mit bayrisch-deutschen Texten, leider ohne Untertitel. Mit Instrumenten wie Tuba, Horn, Akkordeon, Heimorgel, Zither und Kontrabass, solchen also, die im klassischen Rock-Kontext nicht die erste Wahl wären, stellt sie einen verspulten Psychedelic-Sound her.

Nouvelle Vague: »I could be happy« (Kwaidan/Alive)

Kofelgschroa: »Baaz« (Trikont)

Beide Bands spielen Konzerte in Berlin: Nouvelle Vague treten am 23.11. im Postbahnhof auf, Kofelgschroa am 25.11. im »Bi Nuu«.