nd-aktuell.de / 26.11.2016 / Politik / Seite 16

Ein Museum wie ein Fels

In Recklinghausen kann man eine einzigartige Sammlung polnischer Kunst erleben

Harald Lachmann

»Im Ruhrgebiet befinden sich mehr Museen als in New York«, behauptet Werner Jerke. Immerhin, eines davon hat er selbst gebaut und erst im Frühjahr eingeweiht: das Museum für moderne polnische Kunst in Recklinghausen (Nordrhein-Westfalen). Vis-à-vis von Ikonenmuseum und Propsteikirche St. Peter gelegen, befindet es sich in renommierter Gesellschaft.

Was der promovierte Augenarzt hier zeigt, sind Schätze seiner privaten Sammlung, die er seit gut drei Jahrzehnten zusammentrug. »Große Kunst, die ich oft für kleines Geld erwerben konnte«, erzählt er. Inzwischen umfasse sein Fundus mehr als 600 Gemälde, Zeichnungen, Skulpturen. Rund 80 Arbeiten davon zeigt er gegenwärtig in den beiden Ausstellungsetagen des neuen Domizils, das - wie der 59-Jährige versichert - das einzige Museum für polnische Kunst außerhalb Polens sei.

Jerke wuchs als Sohn einer deutschstämmigen Familie im polnischen Oberschlesien auf, studierte in Kraków Geografie. 1981 ging er in die Bundesrepublik, wandte sich der Medizin zu und begann Kunstwerke »aus polnischen Umbruchzeiten« zu sammeln. So stehen die avantgardistischen Bilder von Władysław Strzemiński (1893-1952) und Katarzyna Kobro (1898-1951) für die 1920er Jahre, »als Polen wiedererstand«, das Schaffen von Wojciech Fangor (1922-2015) für »die hoffnungsvollen Jahre nach Stalins Tod« und die Arbeiten von Zbigniew Rogalski (*1974) für die neue polnische Moderne, die mit Solidarność in den 1980er Jahren aufkam. »Einige der Exponate wurden bereits weltweit ausgestellt, so im Museum of Modern Art in New York«, erzählt der Sammler.

Wojciech Fangor, der erst vor einem Jahr hochbetagt verstarb, hinterließ auch seine künstlerische Handschrift an jenem Museumsneubau: Er gestaltete das nach oben unregelmäßig spitz zulaufende Giebelfenster, das bei Dunkelheit in Regenbogenfarben leuchtet. Ohnehin bildet die äußere Hülle vom Museum Jerke, wie das Haus offiziell heißt, für viele Recklinghäuser das eigentliche künstlerische Ereignis. Denn das Gebäude besteht aus graubläulichem Kösseine-Granit aus dem Fichtelgebirge - und es scheint auch wie ein granitener Fels aus der Erde zu wachsen. Ein Monolith, fast ohne gliedernde Strukturen - und doch überraschend filigran anmutend aufgrund seiner klaren Kanten. Selbst Türen und Fenster wirken auf den ersten Blick, als hätte sie ein Steinmetz aus dem kompakten Gestein herausgemeißelt.

In der Stadt hatte es anfangs auch Bedenken und sogar manche Ablehnung gegeben, als Jerke 2014 mit den Bauarbeiten begann. Selbst Recklinghausens Bürgermeister Christoph Tesche gehört anfangs zu den Zweiflern, doch heute sagt er: »Das Museum bereichert die Altstadt architektonisch.« Mithin beruhigte das fertige Ergebnis die Gemüter schnell wieder, zumal sich der Neubau pedantisch in den Grundriss des zuvor hier stehenden Hauses fügt.

»Das Museum sollte schon in den Kontext der umgebenden Häuserzeilen passen, sich aber zugleich sichtlich davon abheben«, erzählt der Museumsgründer, auf den auch der gestalterische Grundentwurf zurückgeht. Ein befreundeter Architekt goss ihm diesen dann in genehmigungsfähige Baupläne. Von Anfang an schwebte Jerke dabei jener urwüchsig-kompakte Monolith vor, passend zum Ruhrgebiet und dessen Bergwerkstradition, wie er sagt. Deshalb entschied er sich auch beim Naturstein, der den Betonkern komplett umkleidet, weder für Marmor noch für schillerndes Exportmaterial, sondern für den rauen Granit aus Franken. Der leuchte zudem, wenn man ihn nachts anstrahle, »durch seine Quarzeinschlüsse wie ein Sternenhimmel«, freut er sich.

Über die Kosten, die wohl im siebenstelligen Bereich liegen, schweigt sich Jerke aus. Er verrät nur, dass alles selbst finanziert sei, ohne jeglichen Zuschuss durch das Land Nordrhein-Westfalen oder die Stadt Recklinghausen, die dieses Kleinod damit geschenkt bekam. Doch der Bauherr findet das in Ordnung. Zum einen sei jeder Sammler »ein wenig verrückt«, zum anderen wäre man als Kunstmäzen einfach »verpflichtet, die gesammelten Werke in der Öffentlichkeit zu zeigen«. Letztlich gehörten sie doch allen; es handele sich nur um »Eigentum auf Zeit«. So plant der Recklinghäuser, der für den Betrieb des Museums sowie des im Parterre entstandenen Restaurants die Stiftung Jerke Art Foundation gegründet hatte, nun neben wechselnden Expositionen mit Arbeiten aus dem eigenen Fundus jährlich auch mehrere Sonderausstellungen. Sie sollen sich vor allem weiterer aktueller Kunst aus Polen widmen.

Museum Jerke, Johannes-Janssen-Str. 7, 45657 Recklinghausen. Geöffnet: Fr 14-18 Uhr, Sa 11-15 Uhr. Führungen nach Vereinbarung auch zu anderen Zeiten. www.museumjerke.com[1]

Links:

  1. http://www.museumjerke.com