nd-aktuell.de / 03.12.2016 / Brandenburg / Seite 14

Nicht nur Lücken füllen

Gewerkschaft der Ehrenamtlichen plant für Montag einen Warnstreik

Kerstin Ewald

Auf ehrenamtlich Tätige regnet es derzeit Lob und Auszeichnungen. Bundesweit wurden binnen eines Jahres mindestens 600 regionale und überregionale Engagement- und Bürgerpreise verliehen. Für kommenden Montag - es ist der Internationale Tag des ehrenamtlichen Engagements - ruft die im September gegründete Gewerkschaft für Ehrenamt und Freiwillige Arbeit (Gefa) zu Protesten auf. Mit einer Fahrraddemo und einem »Warnstreik« will man auf eklatante Schieflagen beim Einsatz von Freiwilligen hinweisen. Im Fokus steht vor allem die Flüchtlingshilfe.

»Die Beiträge von Freiwilligen sind in vielen Bereichen notwendig«, sagt Sabine Drangsal von der Gewerkschaft Gefa. Diese unbezahlte Arbeit sei aber nur dort sinnvoll, wo es nicht um existenzielle Fragen gehe. Ehrenamtliche könnten Patenschaften übernehmen, Geflüchtete zu Wohnungsbesichtigungen oder zu Ämtern begleiten, ins Kino einladen oder mit den Kindern spielen. »Lebensnotwendige Aufgaben, wie beispielsweise die Behandlung von Kranken und Verletzten, muss aber unbedingt der Staat leisten«, sagt Drangsal. »Er darf das nicht auf unbezahlte Helfer abwälzen.«

Drangsal arbeitet im medizinischen Schreibdienst, in ihrer Freizeit hilft sie beim Medibüro Berlin mit. Dort vermittelt Drangsal mit vielen anderen Geflüchtete und Migranten ohne Krankenversicherung an medizinisches Fachpersonal. Arztpraxen behandeln die Patientinnen und Patienten gratis und anonym. Damit schließt das Projekt Medibüro eine Lücke in der existenziellen Daseinsvorsorge, die nach Forderung der Gefa vom Staat übernommen werden müsste. Die Gewerkschaftsmitglieder sehen sich somit selbst in einem Widerspruch.

Seit langem weist die öffentliche Gesundheitsversorgung große Lücken auf. Illegalisierte Zuwanderer fallen komplett aus dem System, Asylbewerber werden mangelhaft versorgt, da sich das Asylbewerberleistungsgesetz auf die Vorsorgung von »akuten« und »schmerzhaften« Erkrankungen beschränkt. »Neu ist, dass in letzter Zeit immer mehr in Berlin lebende Europäer die Sprechstunde vom Medibüro besuchen müssen«, berichtet Drangsal.

Um die Rolle des kostenlosen Dienstleisters abzustreifen, hat das Medibüro im 20. Jahr seines Bestehens die Gründung der Gefa initiiert. »Wir sind Lückenfüller des Sozialstaats«, heißt es nun im Aufruf zum »Warnstreik« am Montag. Für die Aktivistinnen und Aktivisten ist dies kein Dauerzustand. Vielmehr müsse der Staat die sozialen Grundrechte wie gesundheitliche Versorgung, angemessene Wohnung, Arbeit und Bildung aller gewährleisten. »Flüchtlinge haben ein Recht auf Rechte«, heißt es im Aufruf zum Warnstreik am Montag. Eine Schwierigkeit des Ehrenamtes sei auch dessen häufig fehlende Professionalität, erklärt Drangsal. Freiwillige könnten nicht mit gleicher Qualität und Regelmäßigkeit wie bezahlte Kräfte arbeiten. »Wenn ich krank bin oder mich meine Kinder brauchen, bleibt unser Büro unter Umständen geschlossen.«

Bis jetzt sind Flüchtlingsunterstützer bei der Gefa noch unter sich. Doch die Gewerkschaft wirbt um Mitglieder aus allen Bereichen, in denen Ehrenamtliche tätig sind. Auch das Pflegepersonal in Krankenhäusern und bei Pflegediensten müsse zunehmend auf ehrenamtliche Unterstützung zurückgreifen. Auch von dieser Seite gebe es Interesse an der Gefa, so Drangsal. Die Gefa selbst suche derzeit den Kontakt zu anderen Gewerkschaften wie ver.di.

Auch die altgedienten deutschen Sozialverbände wie Arbeiterwohlfahrt, Caritas und Diakonie bauen zunehmend auf die Mitarbeit von Freiwilligen. Am Montag werden diese Hilfsorganisationen zusammen mit der Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) »den Preis der Preise« des Freiwilligensegments, den deutschen Engagementpreis, vergeben. Die Gewerkschaft der Ehrenamtlichen will auf jeden Fall dabei sein, um auf die Fallstricke des gut gemeinten Engagements aufmerksam zu machen und um die Debatte kräftig anzuheizen.