nd-aktuell.de / 05.12.2016 / Montagmorgen / Seite 14

Wo liegt eigentlich Stendal?

Alexander Isele

Diese Woche wird lang. Es ist Montagmorgen, noch nicht mal zehn Uhr. Müde und kraftlos greife ich zur Tasse Kaffee, die auf meinem Schreibtisch steht. Enttäuscht stelle ich fest, dass ich sie schon leer getrunken habe. Während ich die nächste Tasse koche, suche ich nach Stendal auf einer Landkarte im Internet.

Gestern noch war ich frisch und munter, nach ein paar Tagen Urlaub bei Familie und Freunden bei Freiburg. Im Breisgau. Am anderen Ende dieses Landes. Da, wo noch niemand je von Stendal gehört hat. Um so viel Zeit wie möglich mit meinem Neffen zu verbringen, habe ich den letzten Zug des Tages zurück nach Berlin gebucht. 18.27 Uhr Abfahrt in Offenburg. 19.27 Ankunft in Mannheim, umsteigen, dann um 19.32 im nächsten Zug direkt nach Berlin Hauptbahnhof, wo der Zug um 0.35 Uhr ankommen soll. Was er auch getan hat. Wobei, das weiß ich nicht genau, ich saß nämlich nicht drin.

Rechtzeitig am Bahnhof in Offenburg angekommen, nehme ich im ICE Platz und schwelge in den Erinnerungen an die paar Tage Urlaub. Dass der Zug nicht losfährt, registriere ich zwar, mache mir aber vorerst keine Sorgen. Als nach zwanzig Minuten die Durchsage kommt, die Weiterfahrt verzögere sich auf unbestimmte Zeit, suche ich nach meiner Fahrkarte. Fünf Minuten habe ich zum Umsteigen in Mannheim, das könnte knapp werden. Nach vierzig Minuten fährt der Zug endlich los.

Es wird viel geschrieben über die Bahn und ihre Verspätungen, und fast genauso viel geschimpft. Ich muss sagen, ich bin ziemlich ruhig geblieben, als mir das Bahnpersonal mitteilte, dass ich meinen Zug in Mannheim nicht mehr erreichen würde. Mir wurde ja auch gesagt, die Bahn würde mir ein Hotelzimmer in Hannover bezahlen und ich könne am Montagmorgen bequem und ausgeruht meine Reise nach Berlin fortsetzen. Um 0.30 Uhr in Hannover angekommen, erklärt mir das dortige Bahnservicepersonal, dass es keine freien Hotelzimmer mehr gebe und ich per Taxi nach Berlin gefahren werde. Zusammen mit zwei weiteren Passagieren. Bis vor die Haustür.

Der Taxifahrer freut sich. Er erzählt, dass er ursprünglich nur noch eine einzige Fahrt an diesem Abend vorhatte - und anstatt fünf Euro für einmal um den Bahnhof kurven bekomme er nun ungefähr 700 Euro für einmal schnell nach Berlin und wieder zurück.

Wobei, das mit dem schnell stimmt so nicht. Ein Paar und deren dreijähriger Sohn müssen aufs Land bei Magdeburg gebracht werden. An einer Straßenkreuzung bei Stendal werden sie herausgelassen. Stendal, das bedeutet Überland fahren. Anstatt in zwei Stunden auf der Autobahn von Hannover nach Berlin sind es so halt vier. Aber immerhin, ich werde nach Berlin gebracht. Um fünf vor fünf am Montagmorgen stehe ich vor meiner Haustür. Zwei Stunden habe ich noch, um zu schlafen. Müde kommen mir zwei Gedanken: Wo liegt eigentlich Stendal? Und: Das wird eine lange Woche ...